Magazinarchiv: 2007

Der alte Ritus kehrt zurück

Was uns betrifft


Auf meinen Entzücklika-Tourneen bin ich bei Gesprächen mit unseren Veranstaltern immer wieder überrascht worden, wie viele Katholiken und wie heftig das Thema Rückkehr der lateinischen Messe umtreibt.
In der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ habe ich dazu eine schöne Diskussion gefunden, die den Gottesdienstfeiernden mit NGL eine große Verstehenshilfe sein könnte.

Der emeritierte Kunsthistoriker Peter B. Steiner zitiert zunächst referierend aus dem Buch „Häresie der Formlosigkeit“ den entschiedenen Altritusbefürworter und Schriftsteller Martin Mosebach:

„Der sprachliche Kitsch, der musikalische Kitsch, der Kitsch in Malerei und Architektur haben das Erscheinungsbild der öffentlichen Akte der Kirche vollkommen überflutet. Auf den Altären liegen beigefarbene Treviradecken wie auf Couchtischen, drei dicke Kerzen in handgetöpferten Tonschalen mit unappetitlich an Körpersekrete erinnernden Glasuren stehen in einer Ecke, in einer anderen schmückt ein nach den missverstandenen Prinzipien des japanischen Ikebana geschaffenes Gesteck aus Wurzeln und Trockenblumen die Tischplatte, in deren Mitte sich statt eines Kreuzes das Mikrophon erhebt. Wo steht die Schale mit den Salzmandeln, fragt man sich… Diese Betonhallen, diese Teppichböden, diese massiven Birkenholzmöbel, die Ledersessel am Altar, die Punktstrahler – diese ganz Innenarchitekten-Solidität einer neuen oder restaurierten Kirche weiß nichts davon, dass der heilige Raum, der heilige Ort terribilis, schauderrerregend, ehrfurchtgebietend ist und auch so aussehen muss.“

Peter B. Steiner, für den Ästhetik und Ethik zusammengehen muss (das Schöne muss immer auch wahrhaftig sein), bekräftigt die geschilderten Beobachtungen („Wir haben hierzulande im Übereifer der Liturgiereform viele würdige Tabernakel beseitigt und durch Wandschränkchen ersetzt, die nach Arzeneimittelkästchen aussehen.“). Aber anders als Mosebach kann eine Therapie nicht über die Rückkehr zum alten Ritus der tridentinischen Messe stattfinden.

Dann referiert er das Zustandekommen der Tridentinischen Messe, die unter allen christlichen Riten eine absolute Ausnahmeerscheinung sei. Entstanden ist sie als Reaktion auf die Reformation, die ihren Erfolg besonders der Verwendung der Volkssprache in Predigt, Lied und Gottesdienst verdankt. Das Konzil von Trient (das Tridentinum) wollte demgegenüber eine einheitliche Sprache und einen einheitlichen Ritus stellen, der dann haarklein geregelt wurde nach dem Vorbild der römischen „Privatmessen“.

Römische Privatmessen sind Messen, die der Gemeinde „beraubt“ (von lateinisch privare = berauben), sich seit dem 11. Jahrhundert unter den Priestermönchen entwickelt haben, die so viele Gemeinden gar nicht haben konnten, wie sie Messen „lasen“.
Jeder gelesenen Messe wurden Messfrüchte zugeteilt, diese Gnaden konnten auf die himmlischen Konten der Stifter, Zelebranten oder Messebesucher gutgeschrieben werden, die den Lastschriften der Sünder gegenüber standen. Martin Luthers Reformation entzündete sich in diesem Kontext der Gnadenverrechnerei.
Steiner: „Genau diese spätmittelalterliche Kümmerform der Liturgie aber wurde unter Pius V. zur verpflichtenden Norm erhoben“. Der Messdiener ersetzt das gläubige Volk. Die alte Messe von 1570 hatte aus dem großen Vorrat an Gebeten und Riten eine sehr knappe Auswahl getroffen. Die Evangelienprozessionen
sehen dann so aus, dass der Priester das Evangelienbuch von der rechten auf die linke Seite des Zelebranten legt. Das Alte Testament kam im Gottesdienst nur noch als Zitat von Psalm 42 im Stufengebet vor. Das Evangelium wird mit dem Rücken zum Volk murmelnd verkündigt.

Dem Aufzählen des alten, nescafe-pulverartigen Rituskonzentrates folgt Steiners Einordnung der tridentinischen Messe in ihren kulturellen Kontext: die einheitliche Form des Ritus war ein Abwehrreflex gegen das Eindringen des Individuums (demnach ein Künstler nicht mehr nur ein anonymer Handwerker (wie z.B. Meister von Messkirch) ist, sondern mit seinem Namen und seiner eigenen künstlerischen Handschrift (Manierismus) in bildender Kunst und in der Musik hervortritt). Die Reduzierung der Messe auf den Priester entspricht dem zeitgenössisch sich bildenden Absolutismus, demnach alles für das Volk aber nicht durch das Volk geschieht: es wird bezelebriert, bepredigt, musikalisch zugedröhnt. Zitat Steiner: „Der faktische Ausschluss und die Entmündigung derer, die an Christus glauben, die von ihm eingeladen sind, seinen Leib zu essen, sein Blut zu trinken, ist … der eigentliche Skandal der Messe von 1570“. Deshalb kann es für Steiner kein Zurück hinter Johannes XXIII. geben „Wir brauchen Formen der Feier, des Betens und des Bauens aus dem Auftrag Jesu („Tut dies zu meinem Gedächtnis“, „Ihr seid das Licht der Welt“) und aus dem Geist unserer Zeit heraus.

Soweit Herr Peter B. Steiner. Ich hätte jetzt gerne mit ihm weiterdiskutiert. Mir ist bei seiner Argumentation aufgefallen, wenn er zitiert, „dass der heilige Raum, der heilige Ort terribilis, schaudererregend, ehrfurchtgebietend ist …“ dann lässt er nämlich eine andere Charakteristik aus, die den Theologen geläufig ist: das „Faszinosum“. Ein Kirchenraum darf auch faszinierend sein, anziehend, begeisternd, mitreißend.

Das erlebe ich persönlich auf meinen Reisen mit Entzücklika aber oft ganz anders. Zwar kann man leicht Beispiele finden, wie Kirchen zu Wohnzimmern umfunktioniert werden, ebenso leicht kann man aber auch Beispiele finden, wie Kirchen unter dem akademischen Eifer „terribilis“ zu sein, zu traurigen und abstoßenden Orten gestaltet wurden, in die man Menschen mit Depressionen besser nicht hineinschickt. Ich sah Kirchen, die Menschen vor meterhohen und fensterlosen Betonwänden versammeln; ich sah Marienfiguren, die aussahen wie Bronzekloben aus der Steinzeit; und just an der Stelle, wo meine Religion singt, dass Gott ein Gesicht hat, stehen jetzt meist würfelartige Steinkolosse und ihre Wächter sagen: das ist Christus. Die Teppiche sind weg, die einst auf Marmorböden lagen, jetzt sieht man den blanken Waschbeton oder andere Formen von Germanenpflaster. Ich sah Kirchen, die man gebaut hat wie Fabriken, damit die Arbeiter ihre Lebenswelt auch in der Kirche wiederfinden – als ob diese jemals scharf darauf gewesen wären, ihre Arbeitswelt am heiligen Sonntag zu heiligen, statt zu ruhen. Und die vorherrschende Farbe in modernen Kirchen ist grau oder braun – oder nacktweiß. Ich sah so viele scheußliche und abweisende Kirchen und in diesen Kirchen habe ich Lieder gehört, die waren nicht Dur, die waren nicht Moll, die hatten keinen Groove, die hatten keine Leidenschaft, die hatten keine Farben; sie hatten eine Nummer und wurden begleitet mit kalten und scharfen Orgelklängen oder mit piepsigen, zwerchfelllosen Stimmen.
Der öffentliche Kult der katholischen Kirche hat in vielen Gemeinden jedweden Charme verloren, nichts Begeisterndes, nichts Demonstratives, nichts An-Spruchsvolles, kein Zuspruch, kein Zeugnis, keine Tradition; sondern nur Rückzug in eine Innerlichkeit, die mit geometrischen Figuren und akademischen Melodien und dem Lieblingswort „Gebrochenheit“ gepflastert und gepanzert ist (die sorgfältig gestalteten Fernsehgottesdienste sind eine wohltuende Ausnahme) und als letztes Element von Lebensfreude noch die Gemütlichkeit von Kaffeekränzchen, Gemeindebasaren und Steh-Empfängen im Anschluss an den Gottesdienst gelten lässt.

Kurz und überspitzt: Gebrochenheit im Gottesdienst, Heilung im Anschluss am Kaffeetisch.
Am meisten schmerzt mich persönlich, wenn moderne Kircheninnengestaltungen auf jegliche Gesichter verzichten; in einer Religion der Menschwerdung und der Gemeinschaft der Heiligen, empfinde ich das als besonders unpassend.
Mit den Gesichtern, mit ihren Leibern, mit ihren Haltungen sind auch viele andere ausgezogen: Weg sind sie, die Fingerzeige, die Attribute, die Siegeszeichen, die Lebensumstände, die Gewänder und das Spiel des Windes darin; die Lichtstrahlen und die Ergriffenheit der Körper; die Engel und die Inszenierungen
von Leichtigkeit, die Fratzen zum Verspotten, die verdrehten Füßlein, die unpraktischen Flügel, die kleinen Unvollkommenheiten, die frechen Grenzüberschreitungen.
Ausgezogen aus den Bildern und aus der Poesie und aus den Liedern. Weg sind die Dienstgeister der Ergriffenheit und inneren Bewegung:
die Schnörkel, das sich spielende Licht, die blicklenkenden Farbnuancen, die veränderte Gangart, die Gänsehaut durch Lautstärke, der Groove mitreißender Lieder, die Intensität begeisterten Singens, das Ineinander, die Zitate, das Einschwingen, das Üben und Aushalten, die Steigerungen, die Affekte, die Gemeinschaft, die gemeinsamen Tabu-Zonen.
Weg ist es, das Agieren und Reagieren auf Gesichter, Figuren, Haltungen und Abläufe hin; das Auf- und Ab, das Hingebungsvolle, das Demonstrative, das Unereichbare, die Höhepunkte, das Faszinierende – wir bekommen zwar gelegentlich gesagt, dass es sich jetzt momentan um einen Höhepunkt oder um eine Sternstunde handelt. Aber spätestens dann ist es so kaputt, wie das Glück kaputt geht, wenn man im unmittelbaren Erleben von Glück sich plötzlich auf eine Diskussion einlassen soll über eine Definition dessen, was Glück ist. Nicht selten darf der Priester, der in diesem Bildersturm immer mehr in den Blickpunkt gerückt ist, sein Tun und Handeln gleich noch mitkommentieren.

In Gesprächen mit Verteidigern des modernen reduzierten Gottesdienstraumes ist mir schon öfters der Verdacht gekommen, dass sie die Messe von 1570 ablehnen mit einer ähnlichen Haltung, die zur Tridentinischen Messe geführt haben: einen Fahrplan (Rubriken) zu haben, für wahrhaftiges (gültiges) Sich-Aufhalten im katholischen Raum – freilich unter Auslassung zahlreicher Gesten, Empfindungen, Ausdrucksmöglichkeiten und Lebensäußerungen, die das „Terribilis“ und die Einfachheit und die Erhabenheit (wessen – des akademischen Diskurses?) stören könnten. Vielleicht aber ist ja der in so vielen Kirchen beobachtete und beklagte Kitsch geradewegs die natürliche Folge der akademischen Bilderstürmerei unserer Tage und somit unausweichlich. Und wer so tut, als ob er wissen wolle, wie dieser Konflikt ausgehen wird, der vergleiche die Verkaufszahlen von Angela Wiedls „Die Glocken von Rom“ oder von Oswald Sattlers „Ave Maria“-Liedern mit den Verkaufszahlen der CDs mit qualitätvoll dargebotenen Gotteslobgesängen …

P.S.: Das NGL wird zumeist als Kitsch wahrgenommen, was wir natürlich reflexartig von uns weisen.