Gelegentlich höre ich Seufzer in der Art: ‚Die Zeit des Neuen Geistlichen Liedes (NGL) ist vorbei!‘, ‚Das NGL ist auch nicht mehr das, was es einmal war!‘, ‚Das NGL ist nicht mehr das Lied der Jugend‘ … Solche Sätze sagen mehr über den momentanen Standort ihrer Verfasser als über den Stand des NGL’s.
‚Stand des NGL’s‘
… war die Überschrift über die diesjährige Bundesfachtagung für NGL, zu der sich Multiplikatoren aus Jugendämtern, Kirchenmusikämtern u.v.a. mit Machern von neuen Kirchenliedern treffen. Und da gab es offenkundige, aber auch nachweisbare Anzeichen, dass es dem NGL nicht ganz so schlecht geht.
Offenkundig ist, dass es immer noch und vielleicht sogar mehr denn je, viele NGL-Erfindende gibt. Nachdem Peter Janssens als Vater des ‚Sacro Pops‘ (den er selber so nicht genannt hat) letztes Jahr gestorben ist, ist die NGL-Szene deshalb nicht auch schon gestorben. Sie hat viele Kinder und neue Stile hervorgebracht, steht im Austausch mit vielen anderen musikalischen und geografischen Kulturen, mehr als die Gesangbücher verkraften. Seine Zählebigkeit verdankt das NGL nach meiner Auffassung seiner Basisverhaftung.
NGL als Wegbegleiter
Neues Geistliches Lied ist gewachsen und zwar auf weite Strecken gegen geprägte Strukturen und Traditionen. Mit Recht kann man dem NGL bescheinigen, dass es dem Lebensgefühl bestimmter Generationen (in den 70er Jahren besonders der Jugend) entsprach, und dass es dem Musikgeschmack bestimmter Generationen (in den 90er besonders derer, die es schon in den 70er Jahren gut fanden) entspricht. Die Bedeutung des NGL’s verändert sich in dem Maße, wie sich sein Umfeld ändert. Insofern stimmt dann die Behauptung ‚Das NGL ist auch nicht mehr das, was es war!‘. Das ist aber auch gar nicht schlimm. Gutes NGL (und das gibt es) ist nicht einfach ein Durchgangsstadium, sondern ein Wegbegleiter.
Dass es dem NGL auch nachweisbar nicht schlecht geht, zeigen folgende Beobachtungen:
Mittlerweile etabliert
Gegenüber der 5. Bundesfachtagung in Vallendar hat sich die Diskussionslage verändert. Wo wir vor 5 Jahren noch erstaunt ‚Hurra!‘ riefen, wenn sich außer in Köln das NGL institutionell etablieren konnte, und wir beschlossen hatten, gemeinsam besonders mit dem Kirchenmusikämtern Lobby’s zu bilden, hat sich die Situation für das NGL entspannt.
Noch wichtiger aber ist, was Peter Deckert (AK SINGLES, Köln) als Zahlenmaterial vorgelegt. Eine genaue zahlenmäßige Darstellung der Jugendchöre und Bands in der Diözese Köln, aufgeschlüsselt nach verschiedenen Parametern, sowie eine zahlenmäßig tendenzielle Darstellung der NGL-Szene in allen Diözesen, zeigte uns eindrücklich, dass NGL in mindestens ein Drittel aller Gemeinden in der Lage ist, so zwischen 20-50 Jugendliche auf die Beine zu bringen. Das gibt ein hübsches Sümmchen. Von wegen am Ende!
Aktive Beteiligung hoch
Und dabei waren das nur die Zahlen, die besonders Jugendliche und junge Erwachsene im Blick hatten, und nicht einmal die Kinderchöre. Würde man auch noch erfassen können, wer von den aktiven Kirchgängern früher selbst in solchen Musiziergruppen beteiligt war, würden wir (so darf ich persönlich salopp formulieren) uns über die Akzeptanzprobleme eines neuen Gesangbuches mit vielen NGL’s keine allzugroßen Gedanken machen müssen. Wichtiger aber festzuhalten ist: viele Jugendliche haben mit NGL zu tun. Punkt.
Viele Kirchenmusiker haben erkannt, dass sie über das NGL auch Nachwuchs für Ihre eigene Vorlieben gewinnen können Der Satz: ‚Das NGL ist nicht mehr die Musik für die Jugend!‘ ist daher doppelt falsch. Weil es weder die Jugend noch die Jugendmusik gibt, kann auch das NGL keine Sache (mehr) für die Jugend sein. Wenn es das jemals gewesen sein sollte (bei aller Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Qualitätsstufen), so ist das eine Frage für die Geschichtsschreibung. Aber warum lebt das NGL dann immer noch, wenn es nicht die Musik für die Jugend ist? Na, klar! Eben weil die Frage in die falsche Richtung zielt. Das NGL war schon von Anfang an immer mehr als die Musik der Jugend. Aber was war und ist es denn?
‚Jesus-Falle‘ oder ansprechendes Element
Antwort darauf kann der Titel einer brandaktuellen Promotionsarbeit von Peter Hahnen sein, die auf der Bundesfachtagung vorgestellt wurde: ‚Das Neue Geistliche Lied‘ als zeitgenössische Komponente christlicher Spiritualität‘ (LIT-Verlag, Münster) . Hier wird knapp aber präzise das Programm des NGL’s beschrieben. Entgegen landläufiger Ansicht wird hier das NGL nicht als der musikalische Köder beschrieben, mit dem man die ‚junge Leut‘ wieder in die Kirche locken kann (wozu auch? Um sie dann wieder mit alter Sülze vollzuknallen?), sondern als eine aktuelle Gestalt heute ansprechender Spiritualität im christlichen Kontext. Das Buch ist relativ leicht verständlich geschrieben, also auch für den interessierten ‚Nicht-Gstudierten‘ auf weite Strecken nachvollziehbar.
Lieder für lebendige Gemeinden
Besonders wertvoll sind vor allem im Anhang, die Interviews mit NGL-Machern der ersten Stunden (Janssens, Willms, Albrecht, u.v.a.). Ein Bonmot: Einen besonders schönen Satz las ich im Interview mit Fritz Baltruweit, nachdem er die Aufbrüche der 60er Jahre beschrieben hat: ‚… heute keine Aufbrüche mehr. Ich erwarte die neuen theologischen Impulse (Anregungen) eher aus südlichen Gefilden.‘ Ein schöner Satz!
LNG statt NGL
NGL hat mit Sprache zu tun, mit der Auffassung von Wirklichkeit und mit den Vorstellungen einer lebendigen Gemeinde. Besonders der Punkt, das Wort NGL zu verdrehen und daraus LNG zu machen, versprach eine interessante Diskussionsrunde bei der Bundesfachtagung. Der Vorschlag LNG stammt von mir selber und meint ‚Lieder neuer Gemeinden‘. Denn nach über 600 Veranstaltungen wurde uns Entzücklikanten deutlich, dass das NGL im Gottesdienst oft mit zwei Riesen kämpfen muss. Zum einen ist es die Beschränkung der Themen durch die feste Liturgie und deren Sprache, die nicht selten von Verantwortlichen eingefordert wird, so dass das NGL oft nicht aus seinen Wurzeln leben kann, das ‚Alte‘ in seiner Situation ‚Neu‘ zu sagen, sondern das Alte (vor allem die alten Floskeln) mit abgenutzten Mänteln aus dem musikalischen ‚Second-Hand-Shop‘ zu verpacken. Und dann scheitert das NGL oft auch am praktizierten Gemeindeverständnis. Ist es der Priester der am Sonntag die Messe liest, oder ist es die Gemeinde, die gemeinsam mit dem Priester Eucharistie feiert?
Auf die Gemeinden kommt es an
Bei ersterem macht das NGL keinen Sinn – und das geschieht häufig genug. Wir brauchen keine NGL’s bei Gottesdiensten in denen Fahnen geweiht werden. NGL’s entfalten ihre Kraft erst, wenn die Menschen im Gottesdienstraum sich nicht als Konsumenten oder Pflichterfüller verstehen. Wenn sie bereit sind, ihr persönliches Schicksal mit den Liedern zu verbinden und neu zu beleuchten. Das geschieht meist aber nicht in gewöhnlichen Territorialgemeinden, sondern in zufälligen Gemeinden, die z.B. bei Konzerten (Das etwas andere Passionsingen) oder bei Entzücklika’s Abendgesänge auf dem Bussen als Beispiel neuer Liturgien, oder in Weggemeinden (z.B. in Mellatz i. Allgäu). Das Kennzeichen dieser (jeweils neuen) Gemeinden sind nicht die geografischen Grenzen, sondern die biografischen Gemeinsamkeiten. Und hier werden aus NGL’s LNG’s – Lieder neuer Gemeinden. Daher wird damit fest zu rechnen sein, dass das NGL künftig noch stärker bei den nun aufkommenden Gemeindeerneuerungen (wie sie z.B. in der Diözese Rottenburg-Stuttgart modellhaft durchgeführt werden) ins Blickfeld kommen wird. Allerdings birgt der Begriff ’neue Gemeinde‘ eine Gefahr: wenn man sich verleiten lässt, aus einer alten (Territorial) Gemeinde eine neue Gemeinde machen zu wollen, dann sollte man lieber die NGL’s nicht dazu benutzen. Denn Sätze wie: ‚Die Leute müssen wieder an die Liturgie herangeführt werden‘, ‚die Menschen müssen wieder das Feiern lernen‘ haben wir genug, und sie sind auch dann noch falsch, wenn sie Bischöfe hundertmal wiederholen. Eine Gemeinde und spirituelle Profile kann man nicht entwerfen mit ‚Muss‘-Sätzen. Hier gehören LNG’s nicht hin.
Gute Neuveröffentlichungen
Nachweisbar gut, scheint es dem NGL auch im Hinblick auf Neuveröffentlichungen zu gehen. Besonders hervorheben möchte ich das im Sommer im Strube-Verlag erscheinende neue Chorheft des Limburgers Arbeitskreis Kirchenmusik und Jugendseelsorge ‚Die Zeit färben‘, das die Nachfolge von ‚Vom Leben singen‘ antritt. Bereits die Vorabveröffentlichung bei der Bundesfachtagung zeigte, dass mit diesem Werk, das diesesmal mehr die Bands und etwas weniger die Chöre ansprechen will, viel frischer Wind in unsere Repertoires kommen wird. Auffällig ist auch, das auch zahlreiche internationale Lieder dabei sein werden und Lieder von New-Comern, die die NGL-Musik künftig bereichern werden. Dieses Heft wird das angenehmste ‚Muss!‘ seit der Erfindung des Kölschs.
Und MeV war auch da …
Musica e vita war vertreten durch Bernhard Lämmle und mich von der Kontaktstelle Württemberg, nachdem Leierseder und Zach gesundheitlich aus- und aufgefallen waren (tja, die Jugend ist vorbei!). Sicherlich hätte Jürgen auch davon berichtet, dass sich das österreichische Vorbild aufgelöst hat – und auch überlegt warum (vielleicht wegen mangelnder Bodenhaftung des dortigen Konzeptes?) und Alfons hätte wieder Stoff für die nächsten Liedertankstellen gesammelt. Neues gab es nämlich von Quast, Linßen, Becker, Schweer, Bayer, Stermann, Schonauer, Heigenhuber, Simon, u.v.a.
Die nächste Bundesfachtagung findet nächstes Jahr in Altenberg statt und will die musikalischen Neuentwicklungen des NGL’s betrachten.
Gibt es Innovationen?