Die Bundesfachtagung glänzte mit Teilnehmerrekorden und einer Fülle von grandiosen Neuvorstellungen.
Aber sie alle wurden in ihrer Bedeutung übertroffen durch eine kleine Auferstehung mitten am Tag.
Ein sehr persönlich geschriebener Rückblick von Alexander Bayer*
Die diesjährige Bundesfachtagung für Neues Geistliches Lied trug die Überschrift „menschenfreundliche Liturgie“. Die Tagung wird von der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge (Düsseldorf) verantwortet und lädt seit bald 20 Jahren Texter, Autoren, Kirchenmusiker und pastorale Schaltstellen zum gegenseitigen Austausch ein.
In der Regel werden im Studienteil Referenten zu bestimmten Themen gehört, in einem Konferenzteil werden wichtige Informationen weitergegeben, wie zum Beispiel GEMA-Fragen, Katholikentage, aktueller Stand des neuen Gotteslobes etc., etc., etc. Je nach Größe der Gruppe werden auch aktuelle Projekte, Arbeitskreise, CD-Produktionen, Musicalproduktionen und und und (mehr oder weniger) ausführlich vorgestellt.
Ein besonderes Kennzeichen der Tagung ist das konsequente Unterbrechen des Tagungsverlaufs, um Lieder zu singen, die die anwesenden Autoren mitgebracht haben. Im Anschluss an das gemeinsam gesungene Lied nimmt der Autor den „Handschuh“, um eine Diskussion über sein Euvre zuzulassen – oder er nimmt ihn nicht und dann bleibt das Lied
unkommentiert. Die Handschuhrunde, der kollegiale und kritische Austausch wird von Außenstehenden sehr bewundert.
Ein persönlicher Rückblick (Teil 1)
Ist das ‚Neue Geistliche Lied‘ tot? Der Befund ist – wie immer – uneindeutig. Natürlich gibt es Menschen, die in ihrer Enttäuschung über Gott und die Welt irgendwann auch das Neue Geistliche Lied als mögliches Abschussobjekt entdecken. So kämpft seit Jahren die ansteckende Frische und Erfrischung des NGL gegen den zermürbenden Umbauprozess der Kirche. Manche neigen dazu, das NGL für tot zu erklären, weil es eben nicht mehr erfrischt, andere finden, dass das NGL viel zu lebendig ist, weil es die Kirche von ihren großen kirchenmusikalischen Wurzeln abschneidet. Die eine Fraktion leidet unter der Lieblosigkeit konventioneller Gottesdienste, die andere unter der Banalisierung der Gottesdienste durch „Klamaukmusik“ (z. B. Bischof Mixa in Augsburg).
Bei der diesjährigen Fachtagung für Neues Geistliches Lied setzte sich die Er-Frischung des Neuen Geistlichen Liedes über die Versammlung seiner Autoren hinweg und zeigte sich kraftvoller als die Besorgtheiten seiner Autoren. Es war so etwas wie eine kleine Epiphanie des Neuen Geistlichen Liedes:
Vorne sitzen vier Referenten, die abwechselnd akademisch und anekdotisch über das Gelingen von Gottesdiensten reüssieren; ihnen gegenüber sitzen Autoren und Gottesdienstgestaltende, die die beiden Motoren des Neuen Geistlichen Liedes verkörpern:
den Motor, die (üb-)erlebte Lieblosigkeit von Gottesdiensten überwinden zu können und den Motor, aus der Frische, Kraft und Intensität modern gestalteter Ausdrucksformen im Gottesdienst lebendiges Wasser zu schöpfen. Die eher spröde Situation des tagenden Podiums wird wie gewohnt unterbrochen, damit Autoren ein aktuelles Werk vorstellen können. Dann wieder die Referenten, dann wieder die Autoren, dann wieder die Referenten, die angesichts der Neu-Vorstellungen in immer bessere Laune geraten, dann wieder die Autoren, die angesichts der vorgetragenen Analysen in immer schlechtere Laune geraten, weil sie schmerzhafter denn je sich an ihre stets abrufbare gottesdienstliche Frustrationen erinnert fühlen.
Im neuen Testament würde jetzt in etwa stehen:
zu jener Zeit, es war kurz vor dem Mittagsmahl, erhob sich Jesus, ergriff das Wort und sprach: ‚Eure Lieder haben euch geholfen!‘.
Nun, was wirklich geschah: eine bleierne Frustration der Gottesdiensttraumabewältigung hing in der Konferenzluft. Da erhob sich einer der Referenten, federleicht, angetrieben von der Frische der eben vorgestellten neuen Lieder und mahnte uns sinngemäß:
„Vertrauen Sie doch Ihren Liedern! Da ist so viel Leben drin!“
Das war für mich eine klassische Sternstunde des Neuen Geistlichen Liedes, denn sie führte uns Kreativen (einmal mehr) vor Augen, wie sehr unsere Lieder den Augenblick erfüllen können, wie sehr sie sich auch über die „Besorgtheiten“ ihrer Autoren hinwegsetzen können. Im Gespräch mit anderen gesellte sich zu dieser Beobachtung oft der Wunsch: „Ach, wenn das doch die Herren Entscheidungsträger hätten erleben dürfen“.
Und doch bleibt bei mir eine Besorgtheit und ein Fragezeichen: verstellen wir Autoren nicht durch unsere Besorgt-, Bekümmert- und Aufgeregtheiten, durch unsere Be- und Verwertungen, durch unser ‚Lasst uns drei Hütten bauen‘ uns selbst und anderen das ‚Aufgehen‘ der Lieder? Gilt nicht auch für unsere Performance, was im Plenum über das ganze
Wochenende sinngemäß formuliert worden ist: ‚Eine menschenfreundliche Liturgie hängt davon ab, wie wir selber menschenzugewandt sind.‘?
Uns Autoren ist an diesem Morgen eine Sendung widerfahren: so wie der Referent uns Beine gemacht hat, mehr an unsere kreativen Kräfte zu glauben als die Zermürbung zu zelebrieren, so mögen auch wir – bitte schön – unsere in der ranzigen Butter schwimmenden Gemeinden mit unseren Liedern erinnern, welche gestalterischen Kräfte eigentlich zur Verfügung stehen.
Eigentlich – eigentlich ist uns allen das vorher irgendwo doch schon aber auch irgendwie klar! Dennoch mussten wir das erleben, wie man sich als Gruppe selber an den Abgrund manövrieren kann – und jemand kommt von einer anderen Richtung und sagt: Stopp, keinen Schritt weiter …
Diese Erfahrung erinnert mich an das Adventslied ‚Lasst uns unsere Christenfreude tragen‘, in dem es heißt:
Dann vielleicht kommt jemand und wird sagen:
‚Ich will euch trösten mit meinem Licht.
Ich will euch durch diese Nacht tragen – wie ihr einst mich.‘
(siehe Nacht-Wandler Liedbuch Nr. 230).
* Wer eine offiziellere Version sucht, wird fündig beim Bericht:
‚Das Neue Geistliche Lied – Ein Medium menschenfreundlicher Liturgie (19. überdiözesane Fachtagung NGL)‘ von Monika Cajkovac, in der Zeitschrift Musica sacra, Ausgabe März/April 2007/02.
Ein persönlicher Rückblick (Teil 2)
Zu einem festen Ritual, wenn man es inzwischen nicht sogar ein hohles Ritual nennen will, ist seit Jahren bei der Bundesfachtagung der Bericht über die Entwicklung des Gesangbuches ‚Gotteslob‘, das bereits ab dem ersten Advent 2007 in 190 Gemeinden in den Probebetrieb geht. Was in den ersten Jahren sinnvoll erschien, weil es uns Autoren die vage Hoffnung bescherte, dass unser Gremium kreativer Menschen des 21. Jahrhunderts bei der Entstehung des Gesangbuches in sinnvoller Weise Einfluss nehmen könnten, ist nun zu einer Karikatur geworden, weil wir über bereits getroffene Entscheidungen längst nur noch informiert werden.
Dazu gehören Entscheidungen wie vor zwei Jahren in der Art von: … ‚dass neue Auftragskompositionen vergeben werden für Themen, zu denen es noch keine Lieder gibt, wie z. B. zur ‚Taufe‘ (hahaha, da lachen ja die Hühner … der Autor hat dazu schon vor zwei Jahren hier im Magazin gegackert).
Spätestens seit dem diesjährigen Vortrag von Matthias Baltzer wird den Allerletzten klar, dass das ‚Gotteslob‘ in einer Bundesfachtagung für ‚Neues Geistliches Lied‘ so wenig Relevanz hat, wie die Innenraumgestaltung des Freiburger Münsters. Daran
ändert auch ein Kompositionsauftrag an Gregor Linßen für ein neues Agnus Dei nichts; (… entlarvt höchstens ein Missverständnis der NGL-Szene).
Die vorgestellten Statistiken, egal wie günstig oder ungünstig man sie liest, enttäuschen: irgendwie fast die Hälfte der Lieder werden wieder aus der Zeit vor dem 18. Jahrhundert sein. Überraschend, dass nur ca. 19 Prozent der Lieder aus dem 19. Jahrhundert sein werden (das war anders geplant; aber uff!), aber sehr enttäuschend sind natürlich die etwa 10 Prozent echter Neuer Geistlicher Lieder, die wir NGL-er zu unserem Genre rechnen.
Ich persönlich bin geneigt, mein Ohr weiterem Zuhören in Sachen Gotteslob zu verschließen. Das Ergebnis ist nicht das, was ich mir für unsere Gemeinden im 21. Jahrhundert erwünscht hatte.
Nun, das Ergebnis ist aber im Ende nicht ganz so erschütternd: denn die jetzt kreativen NGLer wären auch bei einem moderneren Gotteslob weiterhin kreativ geblieben und wären nach wie vor der kleine quengelnde Bruder in der Familie der Kirchenmusik geblieben. Mit dem neuen mich jetzt schon enttäuschenden Gotteslob wird der kleine Bruder ‚NGL‘ nach einer ersten Euphorie der Gotteslob-Startphase eben etwas schneller an Gewicht zulegen.
Es bleiben Fragen, die mich (noch) umtreiben:
- Wiederholt sich die Geschichte des Gotteslobes – nur mit neuen Namen in der Redaktion? Das wäre ja ein Kompliment an die Qualität des alten Gotteslobes.
- Wäre das Neue Geistliche Lied vielleicht besser vertreten, wenn es weniger kosten würde?
- Wäre das Neue Geistliche Lied besser vertreten, wenn es seine Themen breiter streuen würde und sich nicht so sehr auf den Themenblock ‚Leben aus dem Glauben‘ konzentrierte?
- Sind unsere modernen Lieder so einseitig oder gar blutleer, dass unsere Kirchengemeinden in ihren dann unbeheizten Betonkirchen auch im Jahre 2040 lieber auf die Christuslieder aus dem 17. Jahrhundert zurückgreifen?
Alle meine Fragen dazu führen mich immer wieder zu der Antwort zurück, die wir beim Verein Musica e vita immer wieder bei Kaffee und Waldspaziergängen erörtert haben. Ausgehend von der Idee eines wöchentlichen Liedblattservices via Internet für die
Kirchengemeinden schälte sich der Gedanke heraus, ein künftiges Gotteslob als Zeitschrift herausgeben, so wie wir es von den Gebetszeitschriften „Magnificat“ oder „Te Deum“ kennen. Das wäre dann Manna, das nicht immer für die Ewigkeit von 40 Jahren gebacken würde. Das wäre eigentlich die große Berufung für einen Verein wie Musica e vita …
Oh, dass doch die Albrecht-Brüder vom ALDI diesen Hilferuf wahrnähmen!