Chorsatz leichtgemacht
1. Einführung und Beispiel
Wer kennt das Problem nicht? Zu einem schönen Lied findet man in keiner Notensammlung einen Chorsatz, und wenn man ihn findet, ist der klassisch für vier Stimmen ausgelegt, mein Chor hat aber höchstens drei Stimmen (und dabei haben die hohen Frauen-Stimmen eindeutig die Überhand).
Einen solchen Chorsatz dann an meinen Chor anzupassen ist meist unmöglich. Bassstimme weglassen, Tenor von Frauenstimmen singen lassen, all das sind Notlösungen, die kein gutes Ergebnis bringen. Ein klassischer Chorsatz ist eben so aufgebaut, daß jede Stimme wichtig ist, ebenso die Stimmlage. Ein Bass kann nur unten singen! Was meiner Meinung nach noch hinzu kommt: der klassische Chorsatz ist out. Hören wir uns doch moderne Musik im Radio an. Keine Gruppe singt klassischen Chorsatz (vielleicht die Prinzen?). Der klassische Chorsatz besteht aus vier unabhängigen Stimmen, die zusammen ein harmonisches Gebäude errichten. Jede Stimme ist dabei gleichberechtigt. Ein Mitsingen ist dabei schwer (z.B. für die Gottesdienstbesucher), weil die Hauptstimme nicht dominant ist. Heute hören wir eigentlich nur harmonischen Chorsatz, also Stimmen, die zur Hauptstimme da-zugesungen werden, um die Harmonien zu unterstreichen. Die Stimmen sind Beiwerk, keine ausgeprägten Melodiestimmen. Meist beruhen sie auf den ganz einfachen Akkordtönen. Und das kann eigentlich jeder selbst machen! Denn dazu ist nur ein bißchen Harmonielehre notwendig.
In dieser Workshop-Reihe möchte ich auf die wesentlichen Punkte eingehen. Mit viel Praxis und der notwendigen Minimaltheorie wird es dann jedem möglich sein, innerhalb kürzester Zeit einen mehrstimmigen Satz zu schreiben.
Beginnen wir mit ein bißchen Theorie.
1. Es gibt Töne. (Was für ein einfacher Einstieg!) Einige dieser Töne ergeben eine Tonleiter. Wir sind es gewöhnt, diese Töne als zusammenpassend zu empfinden. Und jeder von uns kann die Tonleiter singen. Zum Beispiel auf C, also der tiefste Ton, der Grundton ist das C.
Diese Töne sind die Tonleiter auf C.
2. Es gibt Akkorde.
Wir sind es gewöhnt, den Zusammenklang von mehreren Tönen als angenehm oder unangenehm wahrzunehmen. So haben sich bei uns (im Gegensatz zu anderen Musikgewohnheiten wie arabische Musik) Akkorde druchgesetzt, die einem bestimmen Aufbau folgen. Einfach gesagt, sind das der Grundton sowie der dritte und fünfte Ton der Tonleiter auf diesem Grundton.
Zudem hat sich eine weitere Gewohnheit eingeschlichen. Nämlich die, daß die Akkorde auf dem ersten, dem vierten und dem fünften Ton als sehr gut zueinander passend empfunden werden. Es sind dies bei C die Akkorde auf C, auf F und auf G. Hier spricht man auch von der Kadenz.
Was man übrigens sehr schön sieht ist, daß alle drei Akkorde aus Tönen unserer C-Tonleiter bestehen.
Beim F-Akkord und beim G-Akkord habe ich die Töne oberhalb des H einfach von unten genommen. Aus dem hohen C wird dann das tiefe C, beim D genauso (in der Zeichnung sind beide Töne grau!).
Ich kann bei meinen Akkorden die Lage der Töne jederzeit beliebig verändern. Das C muß nicht das untere C sein. Das E kann oben stehen usw. In der Zeichnung rechts habe ich alle Töne des C-Dur-Akkordes aufgeschrieben.
Das Besondere an dieser Kadenz (den drei Akkorden auf derm 1., dem 4. und dem 5. Ton) ist nicht nur, das wir den Klang als besonders zusammenpassend empfinden, sondern, daß jeder Ton der Tonleiter in mindestens einem dieser Akkorde steckt.
Kommen wir nun zur Anwendung unserer Harmonielehre. Ich gebe die ersten Takte des NGL ‚Öffnen Geben‘ vor. Wie im Liedbuch auch, gebe ich Melodie, Text und Harmonien an.
Wir suchen uns die harmonisch entscheidenden Stellen.
Dies ist in jedem Takt Schlag 1, sowie die Stellen, an denen im Takt die Harmonie wechselt. An diesen Stellen (mit Pfeilen markiert) schreiben wir alle Noten des entsprechenden Akkordes. Im dritten Takt schreibe ich meine Noten nicht auf Schlag 1, weil da eine Pause steht. Dafür nehme ich Schlag 2. Auf Schlag 4 schreibe ich den Akkord, weil hier die Harmonie wechselt.
Graue Noten stellen die Melodie dar. Schwarz habe ich jeweils die Note DRÜBER und DRUNTER geschrieben, die zum Akkord gehört. Zum C-Akkord gehören C, E und G. Mit einem leeren Kreis habe ich weitere Noten aus dem Akkord geschrieben.
Jetzt stelle ich mir eine gerade Linie zwischen jeweils zwei nebeneinander liegenden Noten vor. (Oben schwarz gezeichnete Noten sind unten grau eingezeichnet).
Jetzt suche ich jede Note der Melodie heraus. Zu dieser Note schreibe ich die beiden Noten aus dem für diesen Takt geltenden Akkord heraus, die am nächsten zu der gemalten Linie liegen.
So ergeben sich zwei neue Melodien, eine drunter und eine drüber. Zugegeben, sehr einfach. Aber für den Anfang brauchbar.
Jetzt überprüfe ich jede der beiden neuen Melodien, ob es Überschneidungen mit der vorgegebene Hauptstimme gibt.
In unserem Beispiel habe ich die überschneidenden Noten schwarz gemalt und mit einem Pfeil markiert. An diesen Stellen nehme ich einfach den Ton aus dem hier geltenden Akkord, der drüber (bei der unteren Melodie drunter) liegt. Bei uns überschneidet sich bei der 1. markierten Stelle das G. Als geltenden Akkord haben wir C. In C sind die Noten C, E und G. Der nächste Ton über dem G ist wieder das C (leicht abzulesen in Abb 2).
Hieraus ergibt sich bei uns eine neue obere Stimme. Diese Stimme hat an den markierten Stellen aber große Sprünge, die wir vermeiden wollen. Also denken wir uns wieder eine Verbindungslinie zwischen den beiden Noten und suchen uns für die dazwischen liegende Note die Note heraus, die im geltenden Akkord am nächsten zu der Linie liegt.
Schon ergibt sich eine neue einfache, sich mit der Hauptstimme nicht überschneidende DRÜBER-Stimme.
So! Geschafft. Wir haben für die ersten Takte des Liedes zwei weitere Stimmen geschrieben. Eine drunter und eine drüber.
Wenn unser Chor nun dieses Lied singt, sollte zum einen die Hauptstimme klar erkennbar sein, also besser besetzt oder Solo mit Mikrofon. Im zweiteren Fall, wenn der Chor eine Solostimme ergänzt, sollte eine ganz kleine Gruppe die Hauptstimme mitsingen, damit die Harmonie, die durch den Chor entsteht, schön voll klingt.
Soweit für heute. Das nächste Mal gibts Ausführlicheres zu Harmonie und Akkordaufbau, bevor wir uns mit ausgefeilteren Begleit-Melodien und speziellen Melodie-Effekten beschäftigen. Übrigens: Nehmt Euch bitte die Zeit, um obiges selbst an zwei oder drei Beispielen durchzuprobieren. Nur so werdet Ihr merken, daß es nämlich nicht so schwer ist, wie es auf den
ersten Blick scheint.
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Version 1999 – die ersten vier Takte – Text & Musik: Gerhard Hany
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Links zu fortführenden MeV-Artikeln zum Thema: ‚drunter & drüber‘
Ausgabe 2/99:
Chorsatz leichtgemacht
Ausgabe 3/99:
Harmonie und Theorie
Ausgabe 1/00:
Grundtöne & Leittöne
Ausgabe 3/00:
Improvisieren
Ausgabe 1/01:
Und jetzt mit Pepp!
Ausgabe 3/01:
…und noch mehr Pepp!