Magazinarchiv: 2000

Drunter & drüber: Chorsatz leichtgemacht

4. Improvisieren


Wir haben in den ersten drei Workshops gesehen, wie einfach es mit der ‚Linealmethode‘ und der ‚Brich-die-Gerade-Methode‘ ist, einen ganz passabel klingenden harmonischen Chorsatz zu erstellen. So ein Chorsatz- in Maßen angewandt, Strofen lassen wir schön verständlich einstimmig – reicht eigentlich völlig aus.

Aber natürlich wollen wir etwas mehr. Wir wollen unsere Stimmführung noch interessanter und abwechslungsreicher gestalten.
Das geht jetzt nicht mehr so einfach mit dem Lineal, dazu brauchts wieder etwas Harmonielehre. Tja, manchmal kommt man da einfach nicht drumrum. Aber keine Angst, so schwer ist das gar nicht und mit ein klein wenig Wissen kann man ganz tolle Sachen machen.
Alles, was wirklich kompliziert wird, ist dann meist eh nicht mehr singbar;-) Zunächst also wieder einmal etwas Harmonielehre, dann aber sofort rein ins Improvisieren. Denn das brauchen wir, um unsere Stimmführung aus der ‚Lineal-‚ und der ‚Brich-die-Geraden-‚ Methode abzuwandeln, bevor wir uns im 5. Teil der Workshop-Reihe mit noch freieren Stimmführungen und Möglichkeiten der Rhythmik und Dynamik ganz dem Thema ‚Pep‘ verschreiben.

Viel Spaß und Erfolg mit den eigenen Chorsätzen. Und üben nicht vergessen!

Beginnen wir ganz einfach.
Wir kennen die einzelnen Töne einer Tonleiter auf einem Grundton. Nehmen wir der
Einfachheit halber mal wieder das C, das hat keine Vorzeichen.

Außerdem brauchen wir den Akkord auf dem Grundton (und wieder auf dem C).

Kommen wir zur 1. Stufe der Improvisation.
Die ist uns schon bekannt, denn wir haben sie bereits bei der Linealmethode angewandt. Wir wissen, dass in einer Melodie bestimmte Stellen wichtiger sind als andere, das sind die Stellen, die vom Rhythmus betont sind (also auf alle Fälle Schlag 1, bei 4/4-Takt meist auch Schlag 3 – und alle Stellen mit Harmoniewechseln – dort wo der Gitarrist einen neuen Griff braucht). Die Stellen dazwischen sind für uns und unsere Improvisation
Auf den wichtigen Stellen werden wir auf alle Fälle einen Ton spielen, der zu dem Akkord des Grundtons gehört. Ich hab mal alle dazugehörigen Töne eingezeichnet.

Wollen wir also in unserem Melodiebeispiel immer Schlag 1 betonen, so sind unsere Vorgaben (die Töne, die wir auf den wichtigen Stellen spielen müssen), Töne aus dem jeweiligen Akkord – und sie sind eingezeichnet.
Dazwischen haben wir nun die Möglichkeit, eigene Töne einzusetzen. Nehmen wir als erstes Töne aus dem jeweiligen Akkord. WICHTIG! Wir setzen die Töne im selben Rhythmus ein wie die Grundmelodie vorgibt. Dann sieht das zum Beispiel so aus:

Oder auch so:

Man sieht, es gibt viele Möglichkeiten, und ich habe immer nur Töne aus dem Akkord über dem jeweiligen Grundton genommen.
Wir erweitern unsere Möglichkeiten und nehmen in der 2. Stufe der Improvisation nun nicht nur Akkorde aus dem Akkord, sondern Töne aus der Tonleiter über dem Grundton. Achtung! Gemeint ist nicht die jeweilige Harmonie an der Stelle des Liedes, sondern die dem Lied zugrunde liegende Harmonie. In unserem Beispiel also immer C-Dur, auch im 2. Takt, auch wenn die dort geltende Harmonie G-Dur ist.

So, und jetzt wieder ein paar Beispiele, wiederum mit derselben Rhythmik wie die Grundmelodie, wiederum werden die wichtigen Stellen (bei uns Schlag 1) mit Tönen aus dem jeweiligen Akkord (akkordeigene) belegt und dazwischen Töne aus der zugrunde liegenden Tonleiter (leitereigene).

So, aber wie nutzen wir unsere neuen Erkenntnisse für unseren Chorsatz? Ganz einfach. Wir kennen die wichtigen Stellen, die wir mit akkordeigenen Tönen besetzen (wie bereits mit der Lineal-Methode vorgegeben), dazwischen nehmen wir uns die Freiheit, beliebige leitereigene Töne zu nehmen, die nur drei Grundregeln zu folgen haben:

  • Die Stimme muss singbar bleiben, zu große Sprünge, zu hohe Höhen oder tiefe Tiefen wollen wir vermeiden.
  • So wenig wie möglich wollen wir den gleichen Ton setzen wie die Grundmelodie vorgibt.
  • So selten wie möglich wollen wir die Grundmelodie kreuzen, also Noten zuerst mal drüber, später drunter, dann wieder drüber setzen, oder umgekehrt. Drüber bleibt drüber und drunter bleibt drunter.

Und los gehts:

Kommen wir noch zu einer 3. Stufe der Improvisation.
Die geht jetzt aber mehr in die Harmonielehre hinein, denn wir verändern unsere zugrundeliegende Harmonie.
Das sieht so aus: Wir haben einen C-Dur-Akkord. Wir können diesen Akkord verändern, ohne dass er wirklich anders wird. Er bleibt ein C-Dur-Akkord, aber er bekommt eine Färbung hinzu. Wir nehmen einen weiteren Ton in unseren Akkord mit auf. Da wir eine relativ einfache Methode für Drunter&Drüber wollen, nehmen wir nur drei verschiedene Akkord-Färbungen hinzu.

Was bedeutet das im einzelnen? Das C gibt unseren Grundakkord an. Die Zahl dahinter bezeichnet den Ton der Tonleiter, der hinzu kommt. Bei C4 also der 4. Ton (F), bei C2 der 2. Ton (also das D) und bei C7 – genau nicht der 7. Ton, sondern der um einen Halbton verminderte 7. Ton (nicht das H sondern das B). Das ist etwas komisch, aber hat sich so eingebürgert, dass man hier C7 schreibt und nicht den 7. Ton meint.
Das liegt aber daran, dass dieser Akkord zum F-Dur-Akkord hinleitet und das B ein Bestandteil der Tonleiter auf F ist (aber das nur für die Profi-Harmonielehre-Leute). Außerdem, damits nicht zu langweilig wird, gibts bei den
ersten beiden Akkorden auch noch was zu beachten: Bei C4 löst der neue Ton F nämlich das E ab, bei C2 löst das D das E ab.
Also sollte man bei C4 und C2 möglichst auf das E verzichten.
Daraus folgt: Immer wenn in der Hauptmelodie ein E gesungen wird (bei C-Dur wohlgemerkt) sollten wir kein C4 oder C2 setzen, sonst passts ja nicht!
Und wozu brauch ich das? Die Harmonien sind doch vorgegeben!
Ja schon, aber solche Färbungen sind erlaubt, manchmal sogar sehr schön. Außerdem haben wir solche Akkordfärbungen bereits verwendet. Nämlich immer dann, wenn wir nicht akkordeigene Töne ergänzt haben, sondern leitereigene Töne.
Kleines Beispiel von vorhin, diesmal hab ich alle Akkordfärbungen zu unserer improvisierten Melodie dazugeschrieben. Diese Akkorde spielt man nicht, aber durch den Gesang entstehen sie und somit haben wir bereits damit gearbeitet.
Einziger Unterschied jetzt ist, dass wir diese Färbungen auch auf die wichtigen Stellen setzen. Und damit das Lied auch mit Begleitung harmonisch klingt, müssen die Begleitinstrumente unsere Änderung mitmachen.

Einfach gesagt: Wollen wir auch auf den wichtigen Stellen keine akkord- sondern nur leitereigene Töne verwenden, müssen wir die Harmonie ändern, bzw. färben, denn der Grundakkord bleibt erhalten. Das ist immer erlaubt, aber immer nur maßvoll anzuwenden, und am besten so einzusetzen, dass wir einen ganzen Takt mit einer Tonart aufteilen und im 1. Teil eine Färbung, im 2. Teil den normalen Akkord einsetzen. Bespiel:

So, jetzt haben wir einige interessante Dinge kennengelernt. Und wie ich hoffe, auch verstanden. Das Ganze bringen wir jetzt noch mit unserer Linealmethode zusammen. Wir gehen bei der Chorsatz-Erstellung wie folgt vor:

  • Wir bestimmen unsere wichtigen Stellen (Schlag 1 und Harmoniewechsel).
  • Wir überlegen uns Akkord-Färbungen (4 oder 2, wenn nicht 3 in der Melodie vorkommt, 7 geht eigentlich immer, eignet sich am besten, wenn anschließend die Harmonie auf dem 4. Ton kommt-in C-Duralso das F-Dur).
  • Wir wenden jetzt die Linealmethode an, wobei wir nicht nur die Töne aus dem Grundakkord, sondern eben die Töne aus den verfärbten Akkorden verwenden.
  • Wir überlegen uns die akkord- und leitereigenen Töne aus dem jeweiligen Akkord.
  • Wir nehmen beliebige singbare Töne und setzen sie über oder unter unsere Melodie.
  • Fertig!

Probiert das mal aus. Es hört sich schwerer an, als es ist. Beim nächsten Mal wollen wir uns überlegen, wie wir uns andere Möglichkeiten des Chorgesangs zunutze machen wollen, um unsere so erlernte Methode des harmonischen Chorsatzes weiter aufzupeppen (ich sag nur: Rhythmik, Dynamik, Effekte).

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Links zu fortführenden MeV-Artikeln zum Thema: ‚drunter & drüber‘

Ausgabe 2/99:
Chorsatz leichtgemacht

Ausgabe 3/99:
Harmonie und Theorie

Ausgabe 1/00:
Grundtöne & Leittöne

Ausgabe 3/00:
Improvisieren

Ausgabe 1/01:
Und jetzt mit Pepp!

Ausgabe 3/01:
…und noch mehr Pepp!


Erscheinungs-Informationen

Autor: Gerhard Hany
Magazin-Ausgabe: Kommt und seht! auf Seite 14

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