Liebe Freundinnen und Freunde des Neuen Geistlichen Liedes:
Glaubt man so was? Da finde ich heute in meinem elektronischen Briefkasten eine Mail von den Machern dieses einzigartigen Magazins. (Es ist wichtig, diesen Service allen Interessierten anzubieten und es ist ausnehmend gut gemacht! Weiter so, mindestens bis in allen Kirchen das Lob Gottes auch (nicht: nur!) mit Neuen Lebens- und Glaubensliedern klingt.)
… wie gesagt: Da finde ich heute diese Mail, mit der Bitte, etwas über die Bedeutung und die Verwendungsmöglichkeit des (ich zitiere!) PIANOS im NGL zu schreiben.
Das ist spannend! Die wenigen Eingeweihten wissen, dass ich gar nicht Piano (Klavier) spielen kann, jedenfalls nicht nach Noten, dass ich also quasi nur „auf“ dem Piano spielen kann. Und dann auch nur „selbst gestrickte“ Klaviersätze, nach Gehör und nach den Akkordsymbolen (die ja eigentlich für die GitarristInnen da stehen). Damit bin ich schon mal 99 % aller Kirchenmusiker unterlegen, die immerhin fast alle Klasse nach Noten spielen die genannten Gründe haben mich schon früh dazu geführt, über den Einsatz von Pianos in der Gottesdienstmusik nachzudenken.
Vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass ich, klaviertechnisch“ gesehen, ein Laie bin, die es sinnvoll macht, meine Gedanken zum Einsatz des Pianos hier aufzuschreiben. („Laie“ bedeutet ja, dass jemand nicht von Berufs wegen, aber mit Leidenschaft einer Aufgabe nachgeht, die von Profis nicht bezahlbar oder gar nicht erledigt werden kann.
ALSO. STELLEN WIR UNS mal ganz dumm (das fällt mir hier nicht so schwer) und stellen uns die berühmte Frage: Wat iss ene Piano? Un da saje mer e su: Ene Piano is en Maschin , die is in der Lage, alle musikalischen Elemente (Melodie, Harmonie und Rhythmus) gleichzeitig zu liefern, man muss dafür nur einen Musiker bezahlen, is auch schön laut, häufig anzutreffen un de Rest, den krieje mer später …!
Die Geschichte des Piano im NGL
In den 60er Jahren hatten reiche Kirchengemeinden eine gute Pfeifenorgel, sehr reiche Kirchengemeinden hatten ein Cembalo oder Spinett für klassische Aufführungen und nur wirklich reiche hatten auch einen Flügel in der Kirche. Als es aus den o. g. Gründen notwendig wurde, Klaviere im Gottesdienst zu verwenden, wurden meist die Probenklaviere des Kirchenchors zum Gottesdienst aus dem Pfarrheim/ Probensaal in die Kirche und zurück geschleppt, worüber diese dann meist sehr verstimmt waren. Um dieses Problem zu lösen (kein anderes Instrument, neben der Orgel, liefert alle musikalischen Elemente gleichzeitig, die Gitarre ist leise und liefert entweder Melodie oder Harmonie/Rhythmus!) wurden zuerst Portativorgeln angeschafft (die auch das Problem der Ansprechverzögerung hatten), später dann die ersten „Elektronenorgeln“, elektro-optische, schwere und teure Instrumente, wartungsintensiv und nur sehr begrenzt als Rhythmusinstrument einsetzbar, da obertonarm. Sie unterstützten den Gesang recht gut (und werden, als Samples1, z. B. im Gospel in Verbindung mit dem Klavier noch heute gerne eingesetzt) sind aber in der meist halligen Kirchenakustik schlecht „durchhörbar“.
DAS PROBLEM LÖSTE SICH erst Anfang der 70er Jahre mit der Erfindung der Elektro-Mechanischen Klaviere.
Das Hohner Clavinet (Saiteninstrument mit magnetischen Tonabnehmern, Stimmprobleme!) und das Fender Rhodes Piano, eine Art Glockenspiel mit Tonabnehmern und Klaviertastatur) revolutionierten die Liedbegleitung. Vor allem Letzteres war geeignet, da es recht preiswert, stimmstabil, leicht zu verstärken und zu transportieren war. Der Klang war allerdings kaum klavierähnlich und auch nicht gut durchhörbar.
Gegen Ende der 70er Jahre kamen die ersten „echten“ und bezahlbaren Elektronenorgeln auf den Markt, mit den beschriebenen Vor- und Nachteilen.
Sie hatten zwar mehrere, phantasievoll benannte Klänge, aber ein echter Klavierklang war auch damit nicht möglich. Die o. g. wirklich reichen Gemeinden gönnten sich ein Yamaha Stage Piano, ein echtes Klavier mit Tonabnehmer, oder versuchten, ein echtes Klavier mit Mikrophonen zu verstärken, was wirklich nicht einfach ist.
Anfang der 80er Jahre wurde die Sampling – Technik entwickelt. Mein erstes Stage (Bühnen-) Piano hatte 8bit Klaviersamples, die entfernt nach Clavichord klangen, immerhin schon mit einer klavierähnlichen Hüllkurve (Lautstärkenverlauf des Klangs: Ein Klavierton ist schnell mit voller Lautstärke da und verklingt dann, unabhängig von der Haltedauer der Klaviertaste)
Mitte der 80er Jahre kamen die ersten bezahlbaren polyphonen (mehr- bzw. vielstimmigen) Synthesizer auf den Markt, und auch die Möglichkeit, mehrere Keyboards/Synthesizer mittel der MIDI – Schnittstelle (Musical Instrument Digital Interface) zu verbinden, um die Klangvielfalt zu steigern.
Heute stehen uns eine unüberschaubare Vielzahl von elektronischen Instrumenten zur Verfügung. Sie unterscheiden sich weniger im Klang (brauchbare bis hochwertige Klaviersamples bieten eigentlich alle derzeit verfügbaren Instrumente) als vielmehr in der Spielbarkeit (Qualität der Tastatur, Übersichtlichkeit, Bedienbarkeit), der Transportabilität und, natürlich, dem Preis.
VIER INSTRUMENTENARTEN haben sich durchgesetzt, mit jeweils typischen Vor- und Nachteilen: (Die abgebildeten Instrumente stellen nur Beispiele dar, die sich in meiner Praxis bewährt haben!)
1. Das Elektropiano
(Yamaha CLP 230)
Ein Wohnzimmermöbel mit 88 klavierähnlichen Tasten, bei teuren Modellen mit echter (?!) Hammertastatur.
Meist wenige (8-10) gute Klänge: Klavier, Flügel, Cembalo, Rhodes-Piano, Streicher, Vibraphon.
Sicherer Stand durch den Holzunterbau,
2-3 Pedale, recht gute Lautsprecher. Schlecht zu transportieren und empfindlich, da, wie gesagt, fürs Wohnzimmer gebaut.
2. Das Stage-Piano
(Roland RD-300SX und Yamaha P250)
Die Bühnenvariante des Elektropiano. Kein Unterbau, verlangt einen guten (doppelstrebigen!) Ständer, die Pedale rutschen ständig weg, keine oder nur sehr kleine und leise Lautsprecher. Dafür sehr gut transportabel und „bühnentauglich“, d. h. es verträgt schon mal einen Stoß. Muss für Live-Zwecke angemessen verstärkt werden, die eingebauten Lautsprecher sollten als Monitore (Spielkontrolle) ausreichen.
Meist sind zwischen 18 und 64 Klänge „an Bord“. Die Tastatur hat, je nach Modell, auch eine Hammermechanik und ist sehr gut spielbar.
Mein Favorit!
3. Der Synthesizer/Sample-Player
(Roland Fantom X6)
Beim Synthesizer liegt der Schwerpunkt auf der Erzeugung von möglichst vielen „abgefahrenen“ Klängen, die bis in die Einzelheiten editierbar sind.
Die Modellversionen mit Hammertastatur sind sehr teuer. Ansonsten gilt für sie das unter 2. Gesagte, außer, dass sie in der Regel keine Lautsprecher an Bord haben …
4. Das Keyboard
(Roland EXR-7s)
Das Keyboard ist heute in der Regel ein Synthesizer mit abgespeckter Editiermöglichkeit und einer Begleitautomatik. Diese ist sehr hilfreich beim Üben bzw. beim Erlernen der verschiedenen Stile der Popularmusik.
Live zwingt die Begleitmaschine Chor und Gemeinde auf das programmierte, starre Tempo.
Exemplare mit gewichteter Tastatur sind sehr teuer (auch als Wohnzimmerpiano mit Begleitautomatik).
Die eingebauten Lautsprecher sollten auch hier als Monitore (Spielkontrolle) ausreichen mal das „Echtklavier“ angeführt.
Keine Frage: Keine Kopie schlägt das Original!
Es bleiben aber die Schwierigkeiten bei der Stimmung (regelmäßig ist teuer) und in der Verstärkung:
Mikrophone im Klavier betonen einzelne Saiten und geben ein ungleichmäßiges Klangbild. Mikrophone in der Nähe des Klaviers, am
Resonanzboden o. Ä., bergen die Gefahr der Übersprechung (andere Instrumente/Geräusche werden mit übertragen) und, bei höheren Lautstärken, der Rückkopplungen (Pfeiftöne in der Verstärkeranlage).
Ein Flügel ist etwas leichter zu verstärken, da man den Deckel als „Abschirmung“ gegen andere Signale nutzen kann, aber, wer hat schon so was …?
DAS IDEALE BANDPIANO für die NGL- Liedbegleitung
ist ein hochwertiges Stagepiano auf einem guten, soliden Ständer, mit gesicherten Pedal(en) und Lautsprechern, die eine zusätzliche Monitorbox überflüssig machen. Beispiele sind derzeit das Yamaha P-250/ P-120, das Kawai ES-3, das Korg SP-300, das Roland FP-5 und vergleichbare Modelle ab ca. 600,– EUR.
Der Einsatz des Pianos im NGL
Das Klavier/Piano kommt also zum Einsatz, weil es die einzigartige Fähigkeit hat, SängerInnen und andere Instrumentalisten in allen musikalischen Bereichen zu unterstützen, bzw. alle diese Bereiche eigenständig zu gestalten. Dazu hat der (in der Regel verstärkte) Klavierklang die Eigenschaft, in der mehr oder weniger halligen Kirchenakustik gut durchhörbar, dabei aber tragend und angenehm zu klingen.
Die LeiterInnen von Kirchenchören/NGL-Chören oder die Kirchenmusiker sind außerdem mit dem Umgang vertraut und können sich, im besten Falle, gleichzeitig der SängerInnenpflege widmen.
Dagegen stehen einige Nachteile:
Nur unter verstärktem Einsatz des Sustain (Halte-) Pedals bleibt eine Hand frei für Dirigieraufgaben, der Klang wird „schwammig“, hier ist die Gitarre oft überlegen. Die Möglichkeit, harmonisch, melodisch und rhythmisch zu gestalten, kann auch dazu verführen, zu viele Töne in die Kirche zu schicken.
Dazu mehr unter dem Kapitel:
„Die hohe Kunst des NGL-Piano“
Kommen wir zu ganz konkreten Aufgaben, die der/die NGL-PianospielerIn vorfindet:
FALL 1, NENNEN WIR IHN LUDGER.
Ludger ist Kirchenmusiker ,B‘, hat Orgel in Perfektion und Liedbegleitung auf dem Klavier und die ganze Musiktheorie, Liturgie, Werkkunde und was sonst noch dazugehört „gefressen“ und wird nun vor die Aufgabe gestellt, NGLs, die sein (Jugend-/Kirchen-/ Familien/Junger-/…(?)) Chor singt, auf dem Piano zu begleiten. Er/Sie hat sich mit dem nötigen „Equipment“ (s. o.) ausgerüstet, hat sich, angeregt durch die Veranstaltungen und Publikationen von musica-e-vita, fortgebildet, einige schöne NGL gefunden und möchte nun loslegen. Das im Bistum /in der Kirchengemeinde vorliegende Liederbuch wendet sich scheinbar leider nur an SängerInnen und GitarristInnen, nirgendwo sind passende Klavierbearbeitungen zu finden, und wenn, dann klingen sie, selbst für seine/ihre Ohren, etwas hölzern.
Warum? Was macht er/sie falsch?
DAZU WIEDER EIN AUSFLUG in die Geschichte des NGL:
Das NGL ist sicher eine eigene Textform. Angeregt von den Gedanken des II. Vatikanischen Konzils erschufen begabte und inspirierte Texter (A. Albrecht, W. Willms, Kl. Lüchtefeld, Th. Laubach, L. Zenetti, Eugen Eckert, Alexander Bayer und viele Andere) neue liturgische, biblische, psalmistische (Lied-) Texte zur Verwendung in allen Formen christlicher Gottesdienste. Ein wilder Garten voll phantastischer Blumen. Auch einige Unkräuter, zugegeben.
Das NGL ist sicher keine eigene Musikgattung! Die jeweils historisch zeitnahen Musikstile, Jazz, Beat, Rock, Chanson, Pop, Balladen, Kirchenlied und Litanei, Kanonformen, ja sogar Funk, Techno und Rap/ HipHop, Volkslied und Folklore wurden von den Komponisten eingearbeitet, meist, aber nicht ausschließlich in Liedform, Strophen- und Refrainlied, Kantaten, (Rock-)opern, virtuos-solistische Formen,
es gibt kaum Grenzen, wurden „eingearbeitet“. Insofern kann man kaum NGL-Musiker studieren, die ganze Musikgeschichte seit dem II. Weltkrieg (und davor: M. L. Thurmeier etc.) stehen im Hintergrund der NGL- Musik.
Jetzt hat Ludger ein Problem. Helfen wir ihm:
Um ein NGL angemessen, z. Bsp. auf dem Piano zu begleiten, braucht Ludger Informationen über die vielfältigen Musikstile der Popularmusik. Immerhin kennt er schon die kirchenmusikalischen Einflüsse.
Für den Rest besorgt er sich entweder fitte Mitmusiker, die sich in der Popularmusik auskennen. Musikmachen im Rudel ist inspirierend und man lernt voneinander.
Auch eine Möglichkeit ist die Anschaffung eines Keyboards und einer gut sortierten Musiksammlung.
Das Keyboard spielt ihm, mit Hilfe der einprogrammierten „Musicstyles“, zwar klischeehaft, doch hilfreich die wichtigsten Musikstile vor. Kann man die einzelnen Musiker (-gruppen) abschalten, so erfährt man sehr genau, wie sich ein Beat, eine Pop-Ballade, eine Bossa-Nova, ein HipHop-Groove usw. aufbauen!
Damit Ludger nicht bei Klischees hängen bleibt, hört er sich herausragende Vertreter der Popmusikstile sorgfältig im Original an:
Wie spielen die typischen (Piano-) Vertreter der Popmusik, wie spielt ein Elton John, ein Billy Joel, ein Stevie Wonder …
Wenn Ludger sich dies zumutet und viel übt, bekommt er/sie das, was man je nach Gusto „Feeling“ oder „Groove“ nennt, eine andere Art zu musizieren, „laid back“, also entspannt, locker, er/sie gewinnt Freiheit in der rhythmischen Gestaltung und lernt vielleicht, dass Rhythmus auch durch „weglassen“ von Harmonien entsteht, indem er/sie auf das „durchhämmern“ von Akkorden/Arpeggien verzichtet.
Ein typischer notierter NGL-Klaviersatz vereinfacht die Klavierbegleitung sehr stark. Kaum ein Komponist/Arrangeur hat, nach meiner Erfahrung, Lust, für ein Liederbuch einen wirklich sehr guten Klaviersatz zu notieren. Das ist schwierig, aufwändig, und wenn der mal steht, können nur noch wenige NotistInnen ihn spielen! Man geht einfach in der Praxis davon aus, dass der/die PianistIn sich den Klaviersatz schon „zurechtbiegen“ wird. Das ist unfair, aber wahr!
NOTENBEISPIEL I
ist ein typischer NGL-Klaviersatz (Ich lobe meinen Gott) aus einem NGL-Liederbuch
NOTENBEISPIEL II:
So müsste er ungefähr eigentlich aussehen:
Um Ludger etwas zu schocken, oder herauszufordern, beschreibe ich hier erstmals in voller Absicht meine eigene Art des Pianierens, für Klavierspieler recht einfach zu lernen und immerhin in meinem Falle sehr erfolgreich:
Also: Noten lesen mehrstimmig kann ich nicht, höchstens bei Klavierprüfungen, aber die sind sehr selten geworden, seit ich einen ordentlichen Beruf (als Hauptschullehrer) habe. Melodien lesen geht gerade noch, ist ja nur eine Stimme. Ein Satz guter Ohren habe ich mir antrainiert, aber das hat Ludger auch.
Jetzt lese ich die Informationen, die für die GitarristInnen notiert sind. Hier erfahre ich alles über die vorherrschende und die aktuelle Tonart/Harmonie, den derzeit gewünschten Basston, außerdem kann ich die einstimmige Melodie prima lesen.
NOTENBEISPIEL III:
Ein guter Geist (Bayer/Bayer) aus einem NGL-Liederbuch (oben):
Die linke Hand spielt fast ausschließlich die angegebenen Basstöne. Manchmal bieten sich im Bass Duchgangsnoten an. Wenn ich alleine begleite, also ohne meine Band, dopple ich die Basstöne in der Sub-Oktave, damit der Bass prägnanter und volltönender klingt.
Spiele ich mit der Band zusammen, achte ich darauf, dass die untere Oktave nur vom (Elektro-) Bass gespielt wird, und dass wir dieselben Töne spielen.
Die rechte Hand greift die angegebenen Akkorde/ Harmonien. Nun ist es ja so, dass eine Harmonie, also meist ein Drei- oder Vierklang, in drei verschiedenen Umkehrungen gespielt werden kann.
Der Mehrklang wird im einfachsten Falle gebildet aus dem 1., dem 3. und dem 5. Ton der Tonleiter.
Bei Vier- und Mehrklängen erweitern sich entsprechend die Möglichkeiten.
NOTENBEISPIEL IV:
Ein guter Geist (Bayer/Bayer) als Klaviersatz nach meiner Technik:
Beim Dreiklang kann ich also den 1. (=8.), den 3. oder den 5. Ton der Tonleiter nach oben (in die
Melodie) legen. Nach einiger Übung gelang es mir, beim Lesen der Melodie die Akkordlage automatisch so zu wählen, dass die drei oberen Finger der rechten Hand die Melodie mitspielen können.
Jetzt kann ich alle Elemente der Musik gleichzeitig spielen:
Der Bass liegt in der linken Hand, die Harmonie in den unteren rechten Fingern und die Melodie in den oberen. Der Rhythmus wird in das Zusammenspiel beider Hände eingearbeitet. Dies gelang in meinem Falle durch viele Nächte Tanzmusik, mit denen ich mein Studium finanzierte, aber das ist nicht Bedingung! Das geht auch mit dem Keyboard oder einem Arrangierprogramm im Computer und einer Platten- oder CD-Sammlung (und einiger Übung, natürlich!)
FALL 2: WILLI
Willi ist den umgekehrten Weg gegangen. Er spielt Rockpiano, übt fleißig, ist ambitioniert aber leider ohne Geld und vor allem ohne Probenraum. Er wird also beim örtlichen Pfarrer vorstellig, der vorschlägt, den nicht benutzten Raum im Kirchturm als Probenraum für Willis Wilde Wesen zur Verfügung zu stellen.
Als Gegenleistung spielen diese unter dem Namen „Ephata“ bei den Jugend- und Familienmessen NGL, haben keinerlei Probleme mit der authentischen musikalischen Umsetzung, aber einige Probleme mit ihrer liturgischen Funktion und der angemessenen Lautstärke, ebenso bei der Liedauswahl.
Gott sei Dank können Ludger und der Pfarrer hierbei helfen.
Die hohe Kunst des NGL-Piano
Jetzt einige spezielle Phänomene, die beim Pianospielen in der Kirche /im Gottesdienst typischerweise auftreten. Nehmen wir an, Ludger begleitet seinen Chor alleine.
Der Chor singt, wenn er ein gemischter Chor ist, mehr oder weniger im Bereich G-g“. Das Piano kann diesen Bereich vorsichtig unterstützen, vor allem, wenn der Chor nicht ganz sicher ist.
Ansonsten braucht es hier eigentlich keine Doppelung.
Das Piano kann tiefer und höher spielen, und sollte dies auch tunlichst tun. An diesen Pianoklang muss sich ein Chor aber gewöhnen, um die
nötigen Informationen (Tempo, Intonation usw.) heraushören zu können. Der Chorsatz hat seinen eigenen Rhythmus. Das Piano tritt als Rhythmusinstrument also vor allem in Chorpausen hervor. Gegenrhythmen zum Chor sind in der Kirchenakustik oft problematisch, Rhythmengleichheit ist nur dann wirklich sinnvoll, wenn ein besonders eindrucksvoller Effekt erzielt werden soll, also selten.
Hier ist eine vorsichtige Balance wichtig.
Das Piano als eigenständiges, hörbares Instrument gegen den Chor ist also vor allem in Abwechslung mit dem Chor, in Singpausen, sinnvoll. Der Versuch, mit dem Piano ein Symphonieorchester zu ersetzen ist genauso sinnlos wie der Versuch, mit einer Gitarre eine ganze Band zu ersetzen. Dies geht nur beim Lagerfeuer auf der Messdienerfreizeit.
Ein Weiteres. Gerne experimentiere ich mit all den vielen schönen Klängen, die mir mein Stage-Piano zur Verfügung stellt. Letztlich ist es dann immer wieder der Klavierklang, den ich für die Aufführung wähle, er passt einfach am Besten zum Chorklang. Nur in Ausnahmefällen nehme ich andere Klänge, vor allem, um einen bestimmten Musikstil authentisch zu begleiten (NGL mit Latin – Wurzeln klingen eben nur (?) gut mit dem „klassischen“ Rhodes- Klang). Ich wähle dazu allerdings eine härtere, bassärmere Soundvariante (z. Bsp. „Stage-Piano“), da der Kirchenraum den Bass automatisch addiert und der Sound so nicht „matscht“, auch wenn es sich am Piano etwas dünn anhört.
Das Gebot, Oktaven nicht unnötig zu doppeln gilt vor allem, wenn Ludger und Willis Band zusammen spielen. Wenn ein oder zwei Keyboards, die Gitarre(n), Melodieinstrumente und der Chor in der selben Oktave singen/spielen, entsteht ein zwar eindrucksvoller, aber unmusikalischer „Klangbrei“.
Also gilt die Grundregel: Je mehr Instrumente mitspielen, desto weniger hat Ludger/Willi zu tun.
Eigentlich prima, dann kann er/sie sich den SängerInnen widmen. Besonders schwierig ist das Auftreten von zwei oder mehr Keyboardern/Pianisten in einer Band. Gleiche oder ähnliche Klänge vertragen ich definitiv nicht (außer bei sog. „Pads“: „Flächensounds“, also Streicher- und weichen Synthesizersound, die sich fast beliebig „stapeln“ lassen). Orgelplus Klaviersounds mögen viele Spiritual/Gospelchöre, auch bei den alten „Kirchenjazz“-Liedern passt das gut. Ansonsten bittet man die Mitkeyboarder, Melodieaufgaben zu übernehmen, oder man wechselt sich ab.
Die Aufgabe, Melodie, Harmonien und Rhythmus zu liefern, stellen besonders hohe Ansprüche an den/die Pianistin. In den Bereichen Melodie und Rhythmus ist am Leichtesten eine Entlastung möglich.
Schon eine Flöte und ein oder (sehr!) wenige, exakt und ausdauernd (!) gespielte Perkussionsinstrumente (Shaker, Claves, Triangel …) machen den Kopf (und den Klang) frei für die wichtigeren Aufgaben der Chorführung.
Man lerne: Ein Piano kann, muss (und sollte!) aber nicht eine Band ersetzen. Ein Chor hat das Recht, nicht „an die Wand“ gespielt zu werden. Ein/e PianistIn hat das Recht, verschiedene Begleitmodelle mit dem Chor zu üben, bis alle zufrieden sind.
Fussnote:
1) Sample: Einige oder alle Töne eines echten Flügels werden in einem aufwändigen Verfahren aufgenommen, digitalisiert und so bearbeitet, das sie am Computer oder mit einem geeigneten elektronischen Instrument (Keyboard, Synthesizer, Sample-Player etc.) als Ersatz eines „Richtigen Klaviers/Flügels“ abgespielt werden können.
Felix Schonauer
Teil II „Hören und gehört werden“ im nächsten Heft!
… ist Lehrer an der Hauptschule in Hennef/Sieg. Er studierte Musik mit dem Hauptfach Gesang und Theologie in Köln und arbeitet als freier Referent in der kirchlichen Jugendund Erwachsenenbildung im Erzbistum Köln und darüber hinaus.
Sein Arbeitsbereich deckt Band- und Chorarbeit, Stimmbildung, technische Beratung und Betreuung vonChören und Musikgruppen,aber auch religiöse Impulse, liturgische Veranstaltungen mitNGL und den Bereich KinderundJugendlieder ab. Geschätztwird auch seine Arbeit alsArrangeur, Komponist und Studiomusiker.