‚Wie entstehen deine Lieder?‘
fragte mich die Redaktion von Musica e vita. Kurze Antwort, mit langer Entfaltung:
‚Meine Lieder finden sich!‘
Sie entstehen nicht, weil ich den Gedanken oder die Pflicht habe, unter Anwendung bestimmter handwerklicher Kriterien etwas zu schaffen, das ideal zu einer bestimmten Gelegenheit zu bestimmten Menschenpasst in einen bestimmten Ablauf von Gedanken.
Meine Lieder finden sich aus Begegnungen mit Menschen, Erfahrungen mit Institutionen und im Erspüren von Texten, im zwanglosen Klimpern am Klavier; und dabei geben sie mir einige Sondervokabeln im Gepäck, an denen man meine Autorenschaft immer leicht herauslesen kann:
Sitzfleisch schwitzen, Kaffeetasse, Apfelstrudel, süddeutscher barocker Himmel, Putzpersonal, Karriere machen im Zeitvertreib, Ostern zweiter Teil, selber Brei kochen, Osterbrunnen, laute Nachbarn, Schnattern des Lord-Christ-Chores, Filmriss unterm Hut, Würmer, Busstation, Arznei, Stresspatienten, Tipps für die Katz, Sandmann, Charlie Brown, Möchte-Gerne, Computer, cremt eure Häute, …
Wenn man das noch mit Synkopen und ein paar ausbrecherischen Harmonien kombiniert, hat man die Gewissheit, dass die Lieder nur wenig in Liturgien Eingang finden. Aber als sechster Sohn einer verwitweten Putzfrau aus armen Verhältnissen hat man nun mal auch schwer einen Zugang in die bürgerliche Welt heutiger Liturgie, besonders wenn deren Vorsitzenden oder Ausführenden die Doppelmoral in Person sind.
Inzwischen bin ich Theologe, aber das hat mich nicht wirklich lebensklüger gemacht. Die Orgelmusik erzeugt bei mir immer mehr psychosomatischen Stress, Kantorengesänge finde ich trotz langjährigem Anfreundungskampf wenig ansprechend, und alle jene Lieder nerven, deren Schlusspunkt mir keine Chance vor Gott einräumt, Opfer und Vertriebener zu sein, Ankläger zu sein, Zweifler, in die Enge Getriebener, der raus will und raus kann.
Manche Lieder finden sich, weil mich etwas empört oder weil ich mich über eine Formulierung oder eine Sache oder eine Entwicklung ärgere. Dann schreit es aus mir. Manche Lieder stellen sich ein, weil ich mit jemanden sprechen muss, oder weil ich dann ganz bei mir selber sein kann. Oft sind die Lieder Momentaufnahmen von Gefühlen. Manchmal singt die Melancholie oder die Nostalgie aus mir, oder jugendlicher Stolz oder Verliebtheit, oder Mitgefühl, Ohnmacht … Manchmal ist es auch nur eine Melodie, die mich fasziniert, so wie man sich von einer Frau mit Ausstrahlung faszinieren lassen kann. Und wenn es dann vorkommt, dass Melodie, Harmonie und Text miteinander die selbe ‚Psychologie‘ teilen, dann halte ich das Lied für besonders gelungen.
So geht es mir zum Beispiel mit dem Kanon Der Kirchenfritze. Das ist kein großartiges Lied, aber ich halte es für gelungen und stimmig, weil es ‚Witz‘ hat im Text und in der Melodie. Man sieht dem Lied an, dass der ‚Autor‘ des Liedes eine andere Art zu beten kennt, als nur die ernste, dogmatisch korrekte, feierliche. Man hört raus, dass dem Autor eine bestimmte Form von Christentum (nämlich das verhockte, beharrende, ungläubige aber predigende, orgelnde) unsympathisch ist, und dass er gleichzeitig durch die abschließende Pointe und Kehrtwende, wo er sich selber als Kirchenfritz outet, das Moraline durch Selbstkritik ersetzt. Das ist in einem sich als Kirchenlied vorstellenden Gesang bislang berraschend und reizt in der Regel beim Erstkontakt zum Lachen. Durch das Lachen, durch die Fröhlichkeit, die das Lied erzeugt, wird es wahr und so gelingt es diesem Lied kurzzeitig, die Kirchenfritzenschaft zu entmachten.
Ein anderes Lieblingslied ist das synkopische (gegen den Strich, gegen den Puls) gesungene Lied ‚Wärmstens zu empfehlen‘ auf der CD ‚Es ist noch so viel offen‘ und Liedbuch ‚Nacht-Wandler‘.
Das Lied wehrt sich heftigst gegen ‚Du sollst‘ und ‚Man muss‘, gegen Imperativ, Dogma und Kanon. Das Lied lässt sich nicht zum Marschieren oder bei Prozessionen singen, eher am Lagerfeuer, auf Augenhöhe und genauso spielt der Text Alltagssituationen durch mit überraschenden Lösungsangeboten. Die Gedanken überraschen von Satz zu Satz, sind nicht von der Logik, sondern vom Sprachwitz her attraktiv.
Aber genau dieser Witz ist mir wichtig, um jeden möglichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu entmachten. Das wäre nicht fein, wenn das Lied am Ende selber wieder nur Moralin wäre, nur mit etwas ‚positiven Denken‘, bzw. ‚positiven Formulieren‘ übertüncht. Gerade der provozierende, weil engführende Regionalismus ‚Wärmstens zu empfehlen, ein süddeutsches barockes Bild sich vom Himmel zu malen‘ bewirkt, dass das Lied wieder eine Distanz und Luft schafft gegenüber einer Sprache, die versucht, etwas Gültiges für alles und
jeden zu sagen. Das Lokalkolorit zwingt zum Nachfragen. Und dann noch eine subjektive Bewertung ‚ein süddeutsches barockes Bild sich vom Himmel zu malen, solang kein Bessres gilt‘, fordert uns heraus, Stellung zu nehmen zu unseren Bildern vom Himmel. Der Liedtext ist hier nicht zu Ende, sondern er legt es darauf an, dass die Singenden sich selber verorten. Das Lied gibt sich ja nicht damit zufrieden, Modelle vorzuschlagen, sondern es will die Süddeutschen und die Norddeutschen, die Kirchenbetrachter und die Kirchenbenutzer, die Brauchtumskatholiken und die Reinkarnierten miteinander (z.B. am Lagerfeuer) ins Gespräch bringen.
Der Witz des Liedes soll zu einer entspannten Athmosphäre beitragen.
Auf der neuen CD ‚Im guten Geist‘ von Entzücklika findet sich der Liedtext ‚Komm Geist, mit Macht begegne uns, in Vielfalt kleide uns und lass die Liebe größer sein und wecke Mitgefühl.‘
Hans-Werner-Scharnowski hat die wenigen Takte zu einem genialen Titel mit affengeilem Sound arrangiert, ist aber von der ursprünglichen Idee abgewichen, das Lied wie einen sich stets wiederholenden Taizégesang zu singen. Das gewisse Etwas an dem Lied besteht für mich darin, dass das ‚Komm, Geist‘ (das man aus der Liturgie erschöpfend kennt) nur als Überschrift, als Introduktion ein einziges Mal singt. Die Wiederholung des Gesanges muss aber ohne diesen Beginn auskommen, so dass im Laufe der Meditation das Wort ‚Mitgefühl‘ zuerst musikalisch, dann grammatikalisch und dann
auch inhaltlich an die Stelle des ‚Komm, Geist‘ tritt. Wo wir anfangs noch dachten: ‚Komm, Geist, mit Macht begegne uns‘ ändert sich allmählich der Sinn in: Mitgefühl! Mit Macht begegne uns‘. Das ‚Mitgefühl‘ beansprucht unüberhörbar auch die höchsten und lautesten Töne des Liedes.
Ich selber höre mich im Nebeneffekt dagegen anschreien, den Heiligen Geist immer mit dieser (Verzeihung) unsinnigen Taube und den immer wieder wörtlich verstandenen Feuerzungen in Verbindung zu bringen. Wenn ich den Geist Jesu oder die Sache Jesu richtig verstehe, dann geht es in unserer Religion und in der gelebten Beziehung zu Gott um Achtung, Respekt, Verantwortung und eben besonders um Mitgefühl (Compassion). Nicht um gefrorene Bilder von Tauben und Feuerzungen … Wenn ich dann in der Partitur als zweite Stimme gegen das Lied die sieben Werke der Barmherzigkeit singen lasse:
‚Hungrige speisen, Durstige tränken… ‚, dann höre ich im Hintergrund all diese Bibelstellen mit, wo das Evangelium sagt, dass das Reich Gottes da geschieht, wo Hungrige gespeist werden und Durstige getränkt, etc. werden. Bei diesem Lied war es mir wichtig, weniger von und über Geist zu formulieren, sondern über die Wirkung von Geist. Dieses Lied kommt sehr entschieden (mit Macht; Dynamik) daher, es hat was von dem Zorn des Jesaia oder des Psalmisten, der sich gegen die scheinheiligen Rauchopfer empört, während draußen vor dem Tempel die Mitmenschlichkeit im Argen liegt.
Einen echten Schocker habe ich produziert, als ich mich an dem Lied ‚O du Fröhliche‘ vergriffen habe und daraus ‚O du fröhlicher Hoffnungsbrunnen‘ gemacht habe (Nacht-Wandler 245). Das Bauchweh, das der neue Text bereitet, das kenne ich schon viel länger und potenzierter von all den gängigen und ernst vorgetragenen Gesängen zur Weihnachtszeit, die unablässig so tun, als ob sich an Weihnachten das Heil ereignet hätte. Sätze wie ‚Welt ging verloren, Christ ward geboren‘ passen mir nicht. Weder als Schuhgröße, noch in den Kram. Der Dreh und Angelpunkt meiner Lieder, meiner Spiritualität ist die Auferstehung.
Erst mit dem Sprung Jesu in den Lichtbrunnen (als Bild für seinen Tod, aber aktiv formuliert) beginnt für mich das Heil (und das, ohne die Frage zu erheben, wer denn Schuld haben könnte am Untergang der Welt). Aus diesem Lichtbrunnen können wir füreinander Licht schöpfen. Und wichtig ist mir zu betonen, dass Jesus sich auch trotz Heil nicht (mehr) festnageln lässt. Ich empfinde es als eine fortgesetzte Kreuzigung, ihn ständig als Gekreuzigten darzustellen,
seinem Tod einen (womöglich noch tieferen, erhabeneren, königlichen) Sinn zu geben (das Pilatus-Schildchen also um weitere Schildchen zu ergänzen) und ihn auf diese Weise einmal mehr auf Etikette zu reduzieren.
Wir wollten doch heute gar nichts von ihm wissen, wenn sein Tod das Letzte und Wichtigste gewesen wäre, was es von ihm zu sagen gäbe. Das Letzte, was es von ihm zu sagen gibt, klingt bei mir eher nach: Ein Mensch kehrt zurück ins Leben. Der Himmel lässt uns nicht im Stich. Menschen kehren ins Leben zurück. Menschen werden füreinander Licht. Ein Weihnachtslied muss für mich deshalb von Menschwerdung singen. Und zwar aus der Perspektive von Menschen, die nicht einfach nur vom ‚Heil‘ bedient werden. Eigentlich müsste man an Weihnachten zuerst an Ostern denken.
Ähnlich denke ich bei einem ganz neu entstanden Lied, das ich im Herbst ins Internet der Entzücklika-Homepage gestellt habe ‚Er nähert sich uns‘. Dem litaneiartigen ‚Er nähert sich uns‘ stelle ich zuerst Formulierungen in den Weg, die einer Annäherung zuwiderlaufen:
‚Der am Galgen seinen Tod fand… dessen Leib war festgenagelt… bloß gestellt, im Stich gelassen…Er nähert sich uns…‘ Und mitten im Lied taucht dann auch noch ein Hinweis auf das Konstruktionsprinzip auf: ‚Der das Umkehren ins Herz schrieb… Er nähert sich uns‘.
Ich habe ‚Umkehrungen‘ in das Lied mitaufgenommen. Zum Beispiel habe ich die ‚Biographie‘ dessen, der sich uns nähert, umgedreht:
Ich beginne beim Tod, erzähle die Kreuzigung rückwärts, (Tempelaustreibung: nicht verhandelbar sein Himmel), beleuchte schlaglichtartig seine ‚Message‘, immer wieder mit Verben der Bewegung, komme über die Taufe (ein geliebtes Kind des Himmels) schließlich zur Geburt (Quell des Felsens, Neugeborner) und Ende bei dem offenen Bild ‚Glut der Herzens‘, das man genauso für Marias ‚Ja‘, wie auch liberaler für menschliche Verliebtheit deuten kann. Und nicht zuletzt durch den Untertitel ‚Emmaus‘ bekommt ‚Glut des Herzens:
Er nähert sich uns‘ am Ende noch einmal eine besondere Pointe.
Die Heilsgeschichte wandert quasi durch das Leben Jesu in unser Herz. Es wird hier eine Heilsgeschichte besungen, die eben nicht am Kreuz gipfelt, sondern im glühenden Herz. Es ist eben diese ins Herz geschriebene Glut, die mich, den Autor des Liedes, ‚Umkehrungen‘ erkennen und singen lässt.
Auch musikalisch habe ich eine Umkehrung eingebaut: Ich hätte das Lied auch konsequent so schreiben können: pro Strofe vier mal die Sequenz: der dideldödeldudelda : Er nähert sich uns. Das wäre aber musikalisch langweilig geworden. Also kehre ich bei der vierten Sequenz die Reihenfolge um und lasse singen: Er nähert sich uns : der dideldadeldudelda. Dadurch ensteht auch am Strofen-
Schluss mit seinem Relativsatz, der nach Fortsetzung schreit, noch einmal eine größere Leerstelle, die mit Leben und Gedanken gefüllt werden muss. Zusätzlich unterstrichen dadurch, dass ich das Lied nicht (wie üblich) in der Tonika enden, sondern auf der Dominante, unaufgelöst in der Luft hängen lasse.
Das klingt dann nach komma pünktchen, pünktchen, pünktchen und nicht nach Schlusspunkt-Aus-Amen.
Abschließend betrachtet klingt das Beschriebene vielleicht so, als ob die dargestellten Bauprinzipien am akademischen Tisch durchkonstruiert worden wären. Wenn ich aber in mich hinein höre, dann merke ich, dass die Bauprinzipien meiner Lieder eben aus meiner Art zu denken und fühlen herauswachsen.
Wenn ich mich nicht daran stoßen würde, dass das Kreuz (übrigens erst seit dem Kaiser Konstantin) zu sehr im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit (gar Verehrung) steht, wäre ich ja nie auf die Idee gekommen, das Leben Jesu so erzählen, dass es vom Kreuz weg führt. Ich käme nie auf die Idee in der Kirche heitere Dinge zu erzählen, wenn ich mich nicht im Kreise der Frommen bewegen würde, die ernste und entschlossene Gesichter machen, während jemand im Altarraum etwas erzählt, das sie nicht im Geringsten interessiert oder ihre Anteilnahme herausfordert. Ich würde nicht so laut vom Mitgefühl singen, wenn dieses nicht durch den Tauben-Geist ersetzt worden wäre.
Meine Lieder zeigen viel von mir selber. Und diejenigen, die sie singen, haben das Problem, dass sie vielleicht das von mir gespürte Problem gar nicht kennen oder spüren (können) – und wenn sie es dann spüren, dann wissen sie nicht, wo sie meine Lieder in ihrer NGL-Praxis einsetzen sollten. Oder wie. In der Liturgie aber will man ja allgemeingültigere Dinge singen, allgemein-menschliche, dogmatisch-richtige, manche Verantwortliche achten darauf, dass die Texte ‚zeitgenössisch‘ seien; ich selber bevorzuge als Zielvorgabe ‚auf Augenhöhe‘. Komma, pünktchen, pünktchen, pünktchen.
Ich danke Musica e vita, dass ich hiermit die Gelegenheit hatte, einen kleinen Einblick in meine Gedankenwelt geben zu dürfen.
infos:
http://www.entzuecklika.de