Magazinarchiv: 2003

Musik des Herzens

Geleitet von musikalischem Jucken und dem Geist des Mitgefühls


Papst Johannes Paul II. hat bei der Mittwochsaudienz vom 26. Februar über den Gesang in der Liturgie gesprochen. Seine Formulierungen sind wohlausgewogen, so dass sich niemand auf den Schlips getreten sehen muss und gegenüber den Aussagen des Kirche-Rock-Satan-Spezialisten Ratzinger viel versöhnlicher zeigen. Da die Pop- und Rockmusik auch die Papstmessen schon erreicht hat, müssen wir NGL-er nicht fürchten, in der vordersten Schusslinie zu stehen. Der Papst lässt den Anlass seiner Ausführungen nicht wirklich erkennen. Man staunt, dass er besonders die geistlichen Gemeinschaften anspricht.

Ich persönlich freue mich über die Feststellung, dass ein Gesang nicht „lediglich theologisch exakte Formeln‘ wiedergeben darf, sondern dass zum Gebet auch gehört, dass er „schön und würdig‘ sein soll. Das Gegenteil davon wäre:
„schlecht vorbereitet, ungepflegte Ausdrucksform, unangemessene Texte‘.
Erst argwöhnte ich, dass hier einmal mehr um die Wiederbelebung der Gregorianik oder der Mozartmesse gehen sollte, weil der Text stets nur von Gesang, nicht aber von Gemeindegesang sprach. Aber die Vision des Papstes bezieht ausdrücklich die Musikinstrumente und den Tanz mit ein. Letzterer sagt ja, dass die Körperlichkeit (der Gemeinde und damit auch ihre Stimme) ihren Platz haben darf. Etwas anderes zu formulieren, wäre auch für die afrikanischen Gepflogenheiten ein schlimmer Affront gewesen. Aber so ein Satz heißt für mich auch, dass
wir steifen Europäer die zarten Anfänge der Bewegtheit in Gottesdiensten pflegen dürfen. Zum Beispiel beim Mitgehen eines schmissigen NGL’s. Aber ob wir dabei schön und würdig aussehen? Und was heißt schön und würdig bei Gottesdiensten mit Behinderten?

Der Papst zitierte abschließend Augustinus: „Die erhabenste Musik ist die Musik des Herzens‘. Das ist es, was wir in unseren Liturgien hören sollen.

Das Gegenteil davon habe ich beim ARD Weihnachtsgottesdienst gesehen: professionell durchgestylte Kirchenmusik, Protzgewänder, Priesterpomp, Gläubige in Edelpelzen, Smoking in the orchestra. Alles das, was Menschen sagen lässt: „Oh, bei den Katholiken geht’s viel feierlicher zu!‘. Als dann der Kantor in liturgischem Edelornat vor dem Evangelium mit dem Habitus eines mittelalterlichen Herolds, unterstützt von einer schmetternden Trompete, dreimal unsere Rettung ankündigte, hat’s mir echt gereicht. Auch wenn manche meinen, das sei feierlich: es war ein Kasperlestheater für Erwachsene. Vorhang auf: Musik: Rettung! Ich kann mir doch nicht das Mittelalter zurückholen, nur damit unsere Gottesdienst schön und würdig scheinen.
Haben wir kein eigenes Lebensgefühl, keine eigene Musik im 21. Jahrhundert?

Ich hab dann umgeschaltet auf den ZDF-Weihnachtsgottesdienst. Der wurde aus einem Gefängnis übertragen. Ein Chor junger Erwachsener sang – nicht perfekt, wirklich nicht. Aber man spürte bei jedem Text und bei jedem Lied, dass sich die Gottesdienstfeiernden echte Gedanken über die besondere Situation der Häftlinge gemacht hatten. Und – die Singenden mussten den Häftlingen in die Augen schauen. Hier habe ich dann gefunden, was Augustinus als „die erhabene Musik des Herzens‘ bezeichnet hat, und so interpretiere ich es, wenn der Papst von „unangemessenen Texten‘ spricht:
es sind die lieblos zitierten theologischen Formeln, die immer richtig sind und doch nicht passen. „Ungepflegte Ausdrucksformen‘ sind für mich das schamlose Benutzen der Liturgie um Reichtum zur Schau zu stellen, z.B. wenn man sich ein Orchester leistet, das meistens doch mit Menschen besetzt ist, die ohne inneren Bezug zur religiösen Bedeutung der Musik sind.
Und „schlecht vorbereitet‘ – das ist nicht nur, aber schon auch, eine Frage des musikalischen Könnens, und auch eine Frage der Kommunikation: Wer sagt wem was in welcher Absicht? Und leitet mich darin ein prophetisches Jucken oder der Geist des Mitgefühls?

Die erhabenste Musik ist die Musik des Herzens!
Danke Augustinus.
Danke Johannes Paul II.