Der folgende Artikel wurde für die Festschrift ‚125 Jahre Kirchenmusikschule Regensburg‘ von Franz Prechtl (Dozent für Klavier, Arrangement und Popularmusik an der Fachakademie für Katholische Kirchenmusik in Regensburg) verfaßt.
Wegen der Länge des Artikels wird der zweite Teil in der nächste Ausgabe des Musica e Vita-Magazins abgedruckt.
‚Instrumente, die nach einer Steckdose verlangen, haben in der Kirche nichts verloren.‘
Diesen Satz, den ein südbayerischer Kirchenmusiker anläßlich einer Podiumsdiskussion bei einem ‚Tag der offenen Tür‘ an der Regensburger Kirchenmusikschule äußerte, hatte ich noch im Ohr, als ich mir vor etwa 5 Jahren Unterrichtsinhalte für das neu eingeführte Studienfach ‚Popularmusik und Arrangement‘ überlegte. Seit diesem Zeitpunkt ist es im Stundenplan an unserem Institut in den letzten beiden Studienjahren integriert. Maßgebend für die Einrichtung dieses neuen Faches war die zunehmende Anzahl von Klagen ehemaliger und aktiver Studierenden. Sie berichteten, daß sie in den Pfarreien oft mit der Aufführung von ‚Neuen Geistlichen Liedern‘ zu tun hätten, aber sowohl die stilgerechte Ausführung als auch das dafür notwendige oder übliche Instrumentarium und dessen technische und musikalische Bedienung sie vor neue Probleme stellten. Somit waren für uns als Kirchenmusikschule, die primäre Ausbilderin von Kirchenmusikern, die wichtigsten Unterrichtsinhalte doch vorgegeben.
‚Popularmusik‘ mit all seinen Stilrichtungen und Instrumenten bildet nun an der KMS im dritten Studienjahr den Grundstock für das im darauf folgenden Studienjahr angebotene Fach ‚Arrangement‘ und dessen praktische Umsetzung in Gottesdiensten und liturgischen Feiern . Die Studierenden werden vorwiegend mit Stilelementen des Jazz und der Pop- und Rockmusik vertraut gemacht, so z.B. Blues, Swing, Latin, Rock oder Ballade, Elemente also, die sich in den Neuen Geistlichen Liedern wiederfinden. Den theoretischen, harmonischen und melodischen Hintergrund bilden vor allem klassische Jazzstandards. Musikalisch umgesetzt wird das Ganze auf den typischen Ensembleinstrumenten E-Piano, Synthesizer, Schlagzeug, E-Bass, Gitarre und Blasinstrumenten. Da in kleinen Gruppen unterrichtet wird, werden ‚fehlende‘ Instrumente mit Hilfe des Computers in Verbindung mit einem Sampler ersetzt. Vor allem wenn es um die Vorführung und das Einüben von Swing oder Latin usw. geht, leistet der Computer mit speziellen Musikprogrammen wertvolle Hilfe. Die Studierenden werden so gleichzeitig mit Software wie etwa Sequenzern und Notenschreibprogrammen vertraut gemacht, Dinge also, die einmal zu ihrem täglichen Handwerkszeug gehören werden.
Etwa zur gleichen Zeit, als an der Regensburger Kirchenmusikschule zum ersten mal über eine gezielte Ausbildung im Bereich NGL nachgedacht wurde, bekam ich eine Einladung des Vereins ‚Musica e Vita‘ aus dem Salesianerkloster Ensdorf in der Oberpfalz; darin wurde ich gebeten, einen Workshop für Pianisten und Keyboarder abzuhalten, die in verschiedenen Laiensensembles in irgendeiner Form mit dem NGL zu tun haben. Begründet wurde meine Einladung damit, daß eben diese Musiker zum größten Teil von ihren hauseigenen Kirchenmusikern keine musikalische Ausbildung und keine Unterstützung auf diesem Gebiet bekommen würden, sei es aus Unkenntnis des Sachverhalts, sei es aus Desinteresse an dieser Art von Musik.
Nun also der Ruf an die gleichsam oberste Stelle der Musikausbildung in der Diözese, auch und gerade deswegen, weil eben diesen Bands von etablierten Kirchenmusikern oft ihr unprofessionelles Auftreten vorgeworfen wird und damit einhergehend eine allgemeine Abwertung des NGL ausgesprochen wird. Bei diesem Workshop wurde ich zum ersten mal auf den Verein ‚Musica e Vita‘ aufmerksam. ‚Musica e Vita ist‘, so ihr derzeitiger Vorsitzender in Deutschland Jürgen Zach bei einer Rede in Ensdorf, ‚eine Vereinigung von Menschen, die vor allem eines wollen: gelebtes Christsein in modernen, in sogenannten ‚Neuen Geistlichen Liedern‘ unter die Leute bringen‘. Weiter, so Zach, ‚Be-geisterung verbreiten, begreifbare Texte, die aus dem Leben kommen, der Ver-geistigung als Alternative zur Seite stellen. Musik mit (jugendlichem) Pep in Gottesdienste tragen, neue Formen der Verkündigung entwickeln,…‘ (vgl. Zach, 1998)
Die Gründer dieser Vereinigung wollten 1986 in Rom eine Organisation ins Leben rufen, die durch Veranstaltungen, Publikationen, organisatorische und inhaltliche Hilfestellung ein Bindeglied zwischen Autoren, Interpreten, Veranstaltern und Interessenten des NGL sein sollte. Nun kommt eine Gründung einer solchen Initiative ja nicht von ungefähr. Wem sollte damit eigentlich geholfen werden? Dem NGL, einer neuen Kirchenmusik, einer musikalischen Jugendarbeit? Vielleicht sollten wir noch einen Schritt zurückgehen, um Klarheit zu bekommen.
Es war in den 60er Jahren, als ich meine erste ‚Jazz-Messe‘ als Keyboarder in einer Band aufführte (im Grunde war es die Tanzband vor Ort, die vom Kaplan angeheuert worden war). Gesungen wurden zum größten Teil ins Deutsche übersetzte Gospels. Aber es war Mode, ‚Rhythmische Messen‘ oder ‚Beatmessen‘ zu spielen und das Gotteshaus war voll – ein Umstand, der im übrigen heute noch als ein Argument für die Daseinsberechtigung des NGL dient.
Aber sehr früh zeigte sich die Problematik des musikalischen Gehalts dieser in der Kirche gesungenen Lieder. In einer geradezu euphorischen Anfangsphase wurde so ziemlich alles durch den musikalischen Wolf gedreht, was in der damaligen Jugendmusik bekannt war oder akzeptiert wurde. Religiöses Chanson wurde mit Gospel unter einen Hut gebracht, der Schlager wurde mit stilreinem Jazz vermischt, Folklore mit ostkirchlichen Gesängen vermengt oder Popballaden mit Elementen aus dem gregorianische Choral angereichert. Der Sacro – Pop war geboren und was einmal ein Oratorium war, wurde ein Sacro-Musical.
Heute, in den 90er Jahren haben wir es mit den selben Stilmitteln zu tun, nur wird deren Kombination geradezu perfektionistisch verfeinert. Es entsteht manchmal sogar der Eindruck, daß man mit dieser Art Stilmix im NGL noch unbedarfter umgeht als in der echten Pop- und Jazzmusik, wenn nur der textliche Inhalt liturgischen oder zumindest allgemein christlichen Anforderungen genügt. Dabei hat es den Anschein, daß klangästethische Katastrophen, wie Rock- oder Popsongs aus dem NGL-Bereich auf der Kirchenorgel zu begleiten, mittlerweile nun doch das Zeitliche gesegnet haben, wobei unrühmliche Ausnahmen hier sicher noch die Regel bestätigen.
Im Gegensatz dazu stehen NGL-Kompositionen, die in ihrer Stilistik an kein bestimmtes Instrumentarium gebunden sind, die oft sogar im Hinblick auf die Orgel geschrieben wurden und mittlerweile auch neben den alteingesessenen Kirchenliedern ihren Platz gefunden haben. Durch ihre Einbindung in überlieferte Formen hat diese Art neuer geistlicher Lieder sich auch den Kritikern des NGL entzogen und soll auch nicht weiter Gegenstand dieser Betrachtung sein.
Doch zeigt sich schon an diesem Gegensatz , daß der Begriff ‚Neues Geistliches Lied‘ nicht als eindeutige Gattungsbezeichnung angesehen werden kann. Im Folgenden nun zwei Definitionsversuche, die dem ganzen Thema einen Art musikgeschichtlichen sowie soziologischen Hintergrund zukommen lassen sollen:
Wilhelm Schepping zum NGL:
1. ‚Das religiöse Liedgut, das junge Leute heute weithin im Gottesdienst, oft aber auch außerhalb der Kirchenmauern singen und auf ihren Instrumenten begleiten, umfaßt inzwischen gattungsmäßig einen kaum mehr präzise absteckbaren Sektor. Er reicht vom tradierten Kirchenlied über Spiritual, religiöses Chanson, religiöses Protestlied, geistliche Schlagerparodie und Volksliedadaptionen … bis hin zu Jazz-, Beat- und Rockmusikanklängen. (vgl. Schepping, 1981)
2. Neues Geistliches Lied,
im Anschluß an das Zweite Vatikanische Konzil und die von diesem gestattete großzügigere Verwendung der Volkssprache entstandene Musikform, die in unterschiedlichster Weise von Element Jazz, Beat oder der internationalen Folklore beeinflußt ist. Die Texte versuchen meist, die Glaubenssituationen der Christen mit heute gebräuchlichen Begriffen zu beschreiben und darzustellen. Die Anfänge des Neuen Geistlichen Liedes in den 60er Jahren waren jedoch häufig naiv und qualitativ unzulänglich. … Heute ist das Neue Geistliche Lied aus vielen Gemeindegottesdiensten nicht mehr wegzudenken. Die Gesänge besitzen teilweise ein hohes theologisches und musikalisches Niveau und zeugen von einer beeindruckenden Offenheit und Kreativität. Notwendig ist jedoch eine unvoreingenommene Prüfung der sich für die Kirchenmusik eröffnenden Chancen und Möglichkeiten. … (vgl. Schützeichel, 1990)
Die Fortsetzung des Artikels gibt es im MeV-Magazin 4/99